Freitag, 7. Januar 2011

Isolierung durch Verkehr

Daß das Verkehrsmittel isoliert gilt nicht bloß im geistigen Bezirk. Nicht bloß setzt sich die verlogene Sprache des Ansagers im Radio als Bild der Sprache im Gehirn fest und hindert die Menschen, zueinander zu sprechen, nicht bloß übertönt die Anpreisung von Pepsi-Cola die der Niederlegung von Kontinenten, nicht bloß steht das gespenstische Modell der Kinohelden vor der Umarmung der Halbwüchsigen und noch des Ehebruchs. Der Fortschritt hält die Menschen buchstäblich auseinander. Der kleine Schalter am Bahnhof oder auf der Bank machte es dem Angestellten möglich, mit dem Kollegen zu tuscheln und das karge Geheimnis mit ihm zu teilen; die Glasfenster moderner Büros, die Riesensäle, in denen zahllose Angestellte gemeinsam Platz finden und vom Publikum wie von den Managern leicht zu überwachen sind, gestatten keine Privatunterhaltungen und Idyllen mehr. Auch auf Ämtern ist der Steuerzahler nun vor Zeitvergeudung der Besoldeten geschützt. Sie sind im Kollektiv isoliert. Aber das Verkehrsmittel trennt die Menschen auch physisch. Die Eisenbahn wurde durch Autos abgelöst. Durch den eigenen Wagen werden Reisebekanntschaften auf halb-bedrohliche hitchhikers reduziert. Die Menschen reisen streng voneinander isoliert auf Gummireifen. Dafür wird in jedem Einfamilienwagen nur gesprochen, was im anderen erörtert wird; das Gespräch in der Einfamilie ist durch praktische Interessen reguliert. Wie jede Familie mit einem bestimmten Einkommen denselben Prozentsatz auf Wohnung, Kino, Zigaretten wendet, ganz wie Statistik es vorschreibt, so sind die Themen je nach den Wagenklassen schematisiert. Wenn sie an Sonntagen oder auf Reisen in den Gasthöfen zusammentreffen, deren Menus und Räume auf entsprechenden Preisniveaus miteinander identisch sind, so finden die Besucher, daß sie mit zunehmender Isolierung einander immer ähnlicher geworden sind. Die Kommunikation besorgt die Angleichung der Menschen durch ihre Vereinzelung.

Adorno, Dialektik der Aufklärung- Aufzeichungen und Entwürfe

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen