Mittwoch, 29. Februar 2012

Oscar Wilde:

"Life imitates art"

Samstag, 25. Februar 2012

Chemical Brothers

'Let Forever Be' directed by Michel Gondry


'The Golden Path' directed by Chris Milk

Freitag, 24. Februar 2012

Rot ist mein Name

Nachdem Firdevsi, Dichter des Buchs der Könige, nach Gazne gekommen war, wo ihn die Poeten im Palast des Schah Mahmut als Provinzler verspotteten, war ich dabei, war auf seinem Kaftan, als er augenblicklich die vierte Zeile eines Doppelverses hersagte, die niemand hatte vollenden können, weil dessen erste drei Halbverse auf einen sehr schwierigen Reim endeten. Als Rüstem, der legendäre Held des Schahname, seinem verlorenen Pferd in ferne Länder folgte, war ich auf seinem Köcher, als er den sagenhaften Riesen mit seinem wunderwirkenden Schwert in zwei Teile zerschlug, in dem fließenden Blut, als er mit der schönen Tochter des Schahs, bei dem er zu Gast war, eine Liebesnacht verbrachte, in den Falten ihrer Decke. Ich war überall und bin überall. Ich war dabei, als der treulose Tur seinem Bruder Iretsch den Kopf abtrennte, als die sagenhaften Traumheere in den Steppen aufeinander einschlugen, als nach einem Sonnenstich das Blut unaufhörlich aus Alexanders hübscher Nase rann und dabei strahlend funkelte. Ich bin in dem Kleid der schönen Besucherin des Sassaniden-Schahs Behram Gür, in deren Bildnis er sich verliebt hatte und die er dienstags empfing, jenes Schahs, der jede einzelne Nacht in der Woche mit einer herrlichen, jeweils aus einem anderen Landstrich kommenden Schönheit unter einer jeweils andersfarbigen Kuppel verbrachte und ihrer Erzählung lauschte, und ich bin, von der Krone bis zum Kaftan, in jedem Kleidungsstück des Hüsrev, in den sich Şirin, sein Bildnis betrachtend verliebt hatte. Ich war auf den Fahnen der die Festungen belagernden Heere, beim Festmahl auf der Tafeldecke, auf den samtenen Kaftanen der Gesandten, die den Sultanen die Füße küssen, und dort, wo das Schwert abgebildet war, dessen Geschichten die Kinder so innig lieben. Unter den Blicken der Buchmalermeister von schönäugigen Lehrbuben auf die dicken Papiere aus Indien und Buchara mit zartem Pinsel aufgetragen, habe ich die Teppiche von Uşak, den Schmuck der Wände, die Hemden schöner Frauen, die gebeugt durch den Fensterspalt auf die Straße blickten, die Kämme der aufeinander einhackenden Kampfhähne, die sagenhaften Früchte und Granatäpfel sagenhafter Länder, den Rachen des Satans, die feine Linie in den Umrahmungen, die krausen Ornamente der Zelte, die vom Illustrator zum eigenen Ergötzen gemalten, mit bloßem Auge kaum erkennbaren Blumen, die Kirschenaugen der Vögel aus Zuckerwerk, die Strümpfe der Schafhirten, die Morgenröten aus den Legenden und die Leichen und Wunden Tausender, Zehntausender Krieger, Schahs und Liebender gezeigt. Ich liebe es, in kriegerischen Szenen aufgetragen zu werden, wo das Blut blütengleich aufspringt, oder auf den Kaftan des Meisters der Poeten, während schöne Knaben und Dichter im Grünen beim Wein der Musik lauschen, oder auf die Flügel der Engel, auf die Lippen der Frauen, auf die Wunden der Toten und auf die abgeschlagenen blutigen Köpfe.
Ich höre euch fragen: Wie ist das, wenn man eine Farbe ist?
Farbe ist die Berührung des Auges, die Musik der Taubstummen, ein Wort in der Dunkelheit. Meine Berührung, würde ich sagen, gleicht der Berührung der Engel, da ich seit Zehntausenden von Jahren dem Raunen der Geister von Buch zu Buch, von einem Gegenstand zum anderen wie dem Sausen des Windes gelauscht habe. Ein Teil von mir spricht hier zu euren Augen, das ist meine schwere Seite. Ein Teil von mir wird in der Luft durch eure Blicke beflügelt, das ist meine leichte Seite.
Und wie glücklich bin ich, Rot zu sein! Mein Inneres brennt. Ich bin stark; ich weiß, daß ich wahrgenommen werde, und auch, daß ihr mir nicht widerstehen könnt.
Ich verberge mich nicht: Für mich verwirklicht sich Feinheit nicht durch Schwäche oder Kraftlosigkeit, sondern nur durch Entschlossenheit und Willenskraft. Ich zeige mich offen. Ich fürchte mich nicht vor anderen Farben, Schatten, vor Massengedränge oder gar Einsamkeit. Wie herrlich, eine mich erwartende Oberfläche mit dem Feuer meines Sieges auszufüllen! Wo ich mich verbreite, glänzen die Augen, erstarken die Leidenschaften, heben sich die Brauen, schlagen die Herzen schneller. Seht mich an, wie schön ist es zu sehen! Leben ist sehen. Ich bin überall sichtbar. Glaubt mir nur, mit mir beginnt das Leben, zu mir kehrt alles zurück.
Seid still und hört zu, wie ich ein so wundervolles Rot geworden bin. Ein Altmeistern, der sich auf Farben gut verstand, zerstieß höchst eigenhändig den rötesten der getrockneten Käfer aus der heißesten Gegend Indiens in seinem Mörser zu feinstem Pulver und wog fünf Dirhem Lotuswurz ab. Dann tat er Lotuswurz ins Wasser und rührte gut um. Schließlich ließ er alles so lange kochen, wie man zum Trinken eines guten Kaffees braucht. Während er seinen Kaffee trank, wurde ich ungeduldig wie ein Kind kurz vor der Geburt. Während der Kaffee seinen Verstand weitete und seine Augen blitzen ließ, warf er das rote Pulver in den Kessel und rührte gut um. Schließlich ließ er alles so lange kochen, wie man zum Trinken eines guten Kaffees braucht. Während er seinen Kaffee trank, wurde ich ungeduldig wie ein Kind kurz vor der Geburt. Während der Kaffee seinen Verstand weitete und seine Augen blitzen ließ, warf er das rote Pulver in den Kessel und rührte mit einem dünnen, sauberen, dafür bestimmten Stab alles gründlich durch. Jetzt würde ich ein wahres Rot sein, doch es kam auf meine Konsistenz an, weswegen das Wasser nicht unnötig lange, aber natürlich lange genug kochen musste. Mit der Spitze des Stabes holte er ein wenig von mir aus dem Kessel und trug es auf seinen Daumennagel (andere Finger kamen nicht in Frage!). Oh, wie schön es war, Rot zu sein! Ich färbte seinen Nagel rot, lief nicht wie Wasser über die Ränder hinaus. Ich hatte die richtige Konsistenz, doch gab es noch Bodensatz. Er nahm den Kessel vom Herd und filterte mich durch ein sauberes Tuch, so dass ich noch reiner wurde. Dann setzte er mich aufs Feuer, ließ mich zweimal aufkochen und schäumen, tat ein wenig zerstoßenes Alaun hinzu und ließ mich abkühlen. Einige Tage vergingen, und ich blieb in dem Kessel, ohne mich mit irgend etwas anderem zu vermischen. Das Stillhalten brach mir das Herz, brannte ich doch darauf, auf allen Seiten an jeder Stelle aufgestrichen zu werden. Und in dieser Stille dachte ich darüber nach, was es heißt, Rot zu sein.
Ich habe einmal in einer persischen Stadt dem Zwiegespräch zwei blinder Altmeister gelauscht, während ich mit dem Pinsel eines Lehrlings auf die Stickereien an der Satteldecke des Pferdes aufgetragen  wurde, das einer der Blinden aus dem Kopf gezeichnet hatte. „Nach einem ganzen Leben gläubiger Hingabe an unsere Arbeit, die uns am Ende natürlich erblinden ließ, wissen wir und erinnern uns daran, was für eine Farbe, was für ein Gefühl das Rot ist“, sagte derjenige, der das Pferd aus dem Kopf gemalt hatte. „Wie aber könnten wir dieses Rot begreifen, das unser schöner Lehrling gerade aufträgt, wenn wir blind geboren worden wären?“
„Eine gute Frage“, meinte der andere, „doch Farben begreift man nicht, man erfühlt sie.“
„Erklärt einem, der die Farbe niemals sah, was Rot ist, großer Meister.“
„Würden wir es mit der Fingerspitze berühren wäre es etwas zwischen Eisen und Kupfer. Auf die Handfläche gelegt, würde es brennen. Würden wir es kosten, wäre es kräftig wie gesalzenes Fleisch. Nähmen wir es in den Mund, würde der ausgefüllt sein. Würden wir daran riechen, gliche es dem Geruch eines Pferdes. Und wäre sein Duft der einer Blume, dann gliche er dem der Kamille, nicht aber dem der roten Rose.“
Damals vor einhundertzehn Jahren war die fränkische Malerei noch keine wirkliche Gefahr, zu der sich die Schahs hingezogen fühlten, und da die legendären Altmeister an ihre eigenen Methoden wie an Allah glaubten, betrachteten sie die verschiedenen roten Zwischentöne, welche die fränkischen Meister sogar für die einfachste Schwertwunde oder den gewöhnlichsten Wollstoff verwendeten, als unwürdige Stümperei und gingen lachend darüber hinweg. Nur der unerfahrene, entschlusslose und willensschwache Illustrator benutzt verschiedene Töne für das Rot eines Kaftans, sagten sie. Und der Schatten kann kein Vorwand sein. Ohnehin gibt es nur ein einziges Rot, und nur daran glaubt man.
„Welche Bedeutung hat dieses Rot?“ fragte wiederum der blinde Illustrator, der das Pferd aus dem Kopf gezeichnet hatte.
„Die Bedeutung der Farben liegt darin, daß sie dort vor uns sind und daß wir sie sehen“, sagte der andere. „Wer nicht sieht, dem kann man das Rot nicht erklären.“
„Auch die Gottesleugner, Ketzer und Ungläubigen sagen, um Allahs Sein in Abrede zu stellen, daß er nicht in Erscheinung trete“, meinte der blinde Pferdemaler.
„Während Er doch dem erscheint, der sieht“, sagte der andere Meister. „ Aus diesem Grund spricht der Koran davon, daß der Sehende und der Nichtsehende niemals eins sein werden.“
Der schöne Lehrling hatte mich nach und nach auf die Satteldecke des Pferdes aufgetragen. Es ist ein so wunderbares Gefühl, mich mit meiner eigenen Fülle, Kraft und Lebendigkeit auf dem Schwarzweiß einer schönen Illustration niederzulassen, daß ich vor Freude kitzlig werde, wenn mich der Pinsel aus Katzenhaaren auf dem Papier verbreitet. So ist es, während ich Farbe gebe, als ob ich zur Welt sagte: „Sei“, und die Welt entsteht aus meiner Blutfarbe. Wer nicht sieht, leugnet ab, dennoch bin ich überall.

Orhan Pamuk
Auszug aus „Rot ist mein Name“

Donnerstag, 23. Februar 2012

Hypostase Me!

Hypostase Me!
Nicolas Elbrecht
Bildmontage 45*30

Donnerstag, 16. Februar 2012

DeVotchka

We're Leaving

Sonntag, 12. Februar 2012

Windrose des Erfolgs

Don Quichotte und Sancho Pansa von Honoré Daumier

Es ist ein eingewurzeltes Vorurteil, daß es der Wille sei, der zum Erfolge der Schlüssel ist. Ja, läge der Erfolg nur in der Linie des Einzeldaseins, wäre er nicht auch der Ausdruck dafür, wie dieses Dasein in das Weltgefüge eingreift. Ein Ausdruck freilich, voller Vorbehalte .Doch sind denn Vorbehalte etwa weniger gegenüber dem Einzeldasein und dem Weltgefüge selbst am Platz? Daher ist der Erfolg, den man so gerne als blindes Spiel des Zufalls beiseite schiebt, der tiefste Ausdruck für die Kontingenzen dieser Welt. Der Erfolg ist die Marotte des Weltgeschehens. Somit hat er am wenigsten zu schaffen mit dem Willen, der ihm nachjagt. Überhaupt sind es nicht die Gründe, die ihn herbeiführen, an denen seine wahre Natur sich dartut, sondern die Figuren der Menschen, die er bestimmt. Es sind seine Lieblinge, an denen er sich zu erkennen gibt. Seine Schoßkinder – und seine Stiefkinder. Der Marotte des Weltgeschehens entspricht die Idiosynkrasie im Einzeldasein. Davon sich Rechenschaft zu geben, war von jeher das Vorrecht des Komischen, dessen Gerechtigkeit kein Werk des Himmels, sondern das unzählige Versehen ist, die endlich, infolge eines letzten kleinen Fehlers, doch das genaue Resultat ergeben. Wo aber sitzt die Idiosynkrasie des Subjekts? In der Überzeugung. Der Nüchterne, der keine Idiosynkrasien hat, lebt, ohne Überzeugungen zu kennen; Leben und Denken haben sie ihm längst zu Weisheit, wie Mühlsteine das Korn zu Mehl, zerrieben. Die komische Figur jedoch ist niemals weise. Sie ist ein Schelm, ein Tropf, ein Narr, ein armer Schlucker, aber was sie auch sei: diese Welt passt ihr wie angegossen. Ihr ist Erfolg kein Stern und Mißerfolg kein Unstern. Sie fragt nach Schicksal, Mythos und Verhängnis überhaupt nicht. Ihr Schlüssel ist eine mathematische Figur, die um die Achsen des Erfolges und der Überzeugung konstruiert ist. Die Windrose des Erfolges:

Erfolg bei Preisgabe jedweder Überzeugung. Normalfall des Erfolges: Chlestakoff oder der Hochstapler. – Der Hochstapler läßt sich von der Situation wie ein Medium leiten. Mundus vult decipi. Er wählt sogar seine Namen der Welt zu Gefallen.
Erfolg bei Annahme jedweder Überzeugung. Geniefall des Erfolges. Schweyk oder der Glückspilz. – Der Glückspilz ist ein ehrliche Haut, die es allen recht machen will. Hans im Glück tauscht mit jedem, der Lust dazu hat.
Erfolglosigkeit bei Annahme jedweder Überzeugung. Normalfall der Erfolglosigkeit: Bouvard und Pécuchet oder der Spießer. – Der Spießer ist der Märtyrer jedweder Überzeugung von Laotse bis Rudolf Steiner. Für jede aber "nur ein viertel Stündchen".
Erfolglosigkeit bei Preisgabe jedweder Überzeugung. Geniefall der Erfolglosigkeit: Chaplin oder der Schlemihl. – DerSchlemihl nimmt an nichts Anstoß; er stolpert nur über seine eigenen Füße. Er ist der einzige Friedensengel, der auf die Erde paßt.

Dies die Windrose zur Bestimmung aller guten und widrigen Winde, die mit dem menschlichen Dasein ihr Spiel treiben. Nichts bleibt als ihre Mitte zu bestimmen, den Schnittpunkt der Achsen, den Ort völliger Indifferenz von Erfolg und von Mißerfolg. In dieser Mitte ist der Don Quichotte, der Mann einer einzigen Überzeugung, dessen Geschichte lehrt, daß in dieser besten oder schlechtesten aller denkbaren Welten, – nur ist sie eben nicht denkbar – die Überzeugung, es sei wahr, was in den Ritterbüchern steht, einen geprügelten Narren selig macht, wenn sie nur seine einzige ist.

Walter Benjamin

Donnerstag, 2. Februar 2012

Ich bin ein Baum

von nicoosi
Collage, 41cm × 31cm

"Nein, ich will kein Baum, will nur der Inbegriff eines Baumes sein."
Orhan Pamuk