Mittwoch, 18. Januar 2017

...meine Phantasie mußte besänftigt werden.


(...) Nein, sie haben mich nicht begraben; aber es gibt da einen Zeitraum, an den ich mich nebelhaft und mit schauderndem Staunen erinnere, der wie eine Reise durch eine unvorstellbare Welt war, die keine Hoffnung kannte und kein Verlangen. Ich fand mich in der grabähnlichen Stadt wieder und fühlte mich belästigt vom Anblick der Leute, die durch die Straßen hasteten, um einander ein bißchen Geld abzuknöpfen, ihre scheußlichen Speisen zu verschlingen, ihr widerliches Bier hinunterzuschütten, ihre belanglosen und dummen Träume zu träumen.  Sie drängten sich in meine Gedanken. Sie waren Eindringlinge, deren Kenntnis des Lebens wie unausstehliche Heuchelei vorkam, weil ich mir so sicher war, daß sie unmöglich von den Dingen wissen konnten, die ich kannte, Ihr Gebaren, das bloß das gewöhnlicher Leute war, die im Gefühl vollkommener Sicherheit ihrem Gewerbe nachgehen, war mir zuwider wie die unerträgliche Prahlerei eines Schwachkopfs angesichts einer Gefahr, die zu begreifen er völlig unfähig ist. Ich verspürte kein besonderes Verlangen, sie aufzuklären, aber ich hatte einige Schwierigkeiten, mich zu mäßigen und ihnen nicht geradewegs in ihre von so dummer Wichtigtuerei aufgeblasenen  Gesichter zu lachen. Mir ging es damals wohl nicht besonders. Ich torkelte durch die Straßen – es gab da verschiedene Angelegenheiten zu erledigen – und grinste völlig ehrbaren Leuten bitterböse ins Gesicht. Gewiß, mein Verhalten war nicht zu entschuldigen, aber meine Temperatur war in jenen Tagen auch selten normal. Die Anstrengungen meiner lieben Tante, mich 'aufzupäppeln' kamen mir völlig fehl am Platz vor. Nicht meine Kräfte mußten gepäppelt, meine Phantasie mußte besänftigt werden. (...)

Joseph Conrad
Auszug aus "Herz der Finsternis"

Mazzy Star - Look On Down From The Bridge