Dienstag, 26. April 2011

Dienstag, 19. April 2011

Die Sprache der Vögel



Die Sprache, wie sie vorphilosophisch die ästhetische Erfahrung beschreibt, sagt mit Grund, einer verstünde etwas von Kunst, nicht, er verstünde Kunst. Kennerschaft ist adäquates Verständnis der Sache und borniertes Unverständnis des Rätsels in eins, neutral zum Verhüllten. Wer bloß verständnisvoll in der Kunst sich bewegt, macht sie zu einem Selbstverständlichen, und das ist sie am letzten. Sucht einer dem Regenbogen ganz nahezukommen, so verschwindet dieser. Prototypisch dafür ist, vor den anderen Künsten, die Musik, ganz Rätsel und ganz evident zugleich. Es ist nicht zu lösen, nur seine Gestalt zu dechiffrieren, und eben das ist an der Philosophie der Kunst. Erst der verstünde Musik, welcher so fremd sie hörte wie ein unmusikalischer und so vertraut wie Siegfried die Sprache der Vögel. Durchs Verstehen jedoch ist der Rätselcharakter nicht ausgelöscht. Noch das glücklich interpretierte Werk möchte weiterhin verstanden werden, als wartete es auf das lösende Wort, vor dem seine konstitutive Verdunkelung zerginge. Die Imagination der Kunstwerke ist das vollkommenste und trügerischste Surrogat des Verstehens, freilich auch eine Stufe dazu.

Adorno, Ästhetische Theorie


Takka Takka - Coco On The Corner

Teddy A. & Karl K.

Adorno:
Ich habe das Düstere übertrieben, der Maxime folgend, daß heute überhaupt nur Übertreibung das Medium von Wahrheit sei.

&

Kraus:
Der Witz umarmt die Wirklichkeit, und der Wahnsinn springt auf die Welt. Wie soll man noch erfinden, wenn hinter jeder Fratze ein Gesicht auftaucht und sich selbst zum Sprechen ähnlich findet? Wie soll man übertreiben, wenn die Tatsache zur Karikatur der Übertreibung wird?

Montag, 18. April 2011

The Assassination of Richard Nixon - Auszug

Georg Seeßlen

 Jede Postdemokratie hat die politische Kultur, die sie verdient. Es bedarf einer politischen Unkultur, um die Verwandlung von Demokratie in Postdemokratie zu bewerkstelligen.
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Wäre unsere Filmkultur wenigstens so ehrlich materiell wie die in Hollywood, so wäre uns klar, dass das, was wir sehen und was wir nicht sehen und wie wir sehen und vor allem wie wir nicht sehen von nicht mehr als einem Dutzend Menschen bestimmt wird.
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Dabei ist es doch genau das, wo ICH geschieht. In der kurzen, aber intensiven Dauer zwischen Aktion und Reaktion.
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Sean Penn in seiner schönsten Ausformung ist ein Stan Laurel, dem der Oliver Hardy abhanden gekommen ist. So einsam, aber auch so frei.
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In aller Regel sind die vielen Reenactment-Feiern unserer Kultur Einverständniserklärungen mit der Vergangenheit, vom Mittelalter bis zum Zweiten Weltkrieg.
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Die Liebe, die man der Maschine verweigert, gibt man den Menschen.

Samuel Beckett - Quadrat

Prokrustebett und die Aufgabe der Religion

Die Natur mahnt zur Besinnung über ein Leben, das auf Äußerlichkeiten gestellt ist. Eine kosmische Unzufriedenheit gibt sich allenthalben kund; Sommerschnee und Winterhitze demonstrieren gegen den Materialismus, der das Dasein zum Prokrustebett macht, Krankheiten der Seele als Bauchweh behandelt und das Antliz der Natur entstellen möchte, wo immer er ihrer Züge gewahr wird: an der Natur, am Weibe und am Künstler. Einer Welt, die ihren Untergang ertrüge, wenn ihr nur seine kinematographische Vorführung nicht versagt bleibt, kann man mit dem Unbegreiflichen nicht bange machen. Aber unsereins nimmt ein Erdbeben als Protest gegen die Errungenschaften des Fortschritts ohne weiteres hin und zweifelt keinen Augenblick an der Möglichkeit, daß ein Übermaß menschlicher Dummheit die Elemente empören könnte.

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Die Aufgabe der Religion: die Menschheit zu trösten, die zum Galgen geht; die Aufgabe der Politik: sie lebensüberdrüssig zu machen; die Aufgabe der Humanität: ihr die Galgenfrist abzukürzen und gleich die Henkersmahlzeit zu vergiften

Karl Kraus

Freitag, 15. April 2011

The Pallers – The Kiss

Das Celebrity- Paradox

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Besonders seltsam war, dass seine Faust bei abstrakten Gedankengängen vollkommmen zum Stillstand kam.
Das Celebrity- Paradox war jedoch nur Teil eines anderen, universellen, noch tieferen, noch tragischeren Widerspruchs: und zwar zwischen der subjektiv empfundenen Zentralstellung jedes Einzelnen in der Welt und dem Wissen um seine objektive Bedeutungslosigkeit. Auch wenn es niemand laut aussprach, jeder bei Style, Atwater eingeschlossen, erkannte darin den alles beherrschenden Konflikt in der amerikanischen Psyche. Es ging um die Bewirtschaftung der Bedeutungslosigkeit. Dies war das Bindemittel innerhalb der synkretistischen US-Monokultur. Dieser Konflikt war ubiquitär, lag allem zugrunde, der Ungeduld beim Schlangestehen, den kleinen Betrügereien in der Steuererklärung, den großen Trends in Mode, Musik und Kunst, auch sämtliche Marketingstrategien. Besonders stark, so Atwater, äußerte er sich in den paradoxen Reaktionen des Publikums, jener gefühlten Freundschaft zu den Stars, gekoppelt mit der Ahnung, dass Millionen andere exakt dasselbe fühlten, bloß die Stars nicht. Atwater war schon etlichen Promis persönlich begegnet (das ließ sich bei einer Zeitschrift wie Style gar nicht vermeiden), aber er hatte nicht den Eindruck, dass es sich bei diesen um ausgesucht nette oder rücksichtsvolle Menschen handelte. Was wiederum irgendwie logisch war, bedachte man, dass Promis in erster Linie nicht als echte Menschen, sondern als Symbole ihrer selbst fungierten.
...
David Foster Wallace, The Suffering Channel

The Books - All You Need Is A Wall

Donnerstag, 14. April 2011

Machtlos im Traum

Wir tragen unseren Sinn für Realität selbst mit in unsere Träume hinein, hinterfragen mit ihm das Glück oder Unglück unserer Traumlogik und müssen es dann doch hinnehmen.

Die ganze Bank schabt mir Rübchen.

Ein Satz kann nie zur Ruhe kommen. Nun sitzt dies Wort, denke ich, und wird sich nicht mehr rühren. Da hebt das nächste seinen Kopf und lacht mich an. Ein drittes stößt ein viertes. Die ganze Bank schabt mir Rübchen. Ich laufe hinaus; wenn ich wiederkomme, ist alles wieder ruhig; und wenn ich unter sie trete, geht der Lärm los.

Karl Kraus

Mittwoch, 13. April 2011

Über Tradition, Kapitel 2

Real verlorene Tradition ist nicht ästhetisch zu surrogieren. Eben das tut die bürgerliche Gesellschaft. Auch die Gründe dafür sind real. Je weniger ihr Prinzip duldet, was ihm nicht gleicht, desto eifriger beruft es sich auf Tradition und zitiert, was dann, von außen, als "Wert" erscheint. Dazu ist die bürgerliche Gesellschaft gezwungen. Denn die Vernunft, die in ihrem Produktions- und Reproduktionsprozeß waltet und vor deren Gericht sie alles bloß Gewordene und Daseiende ruft, ist nicht die volle. Der selbst durchaus bürgerliche Max Weber definierte sie als eine im Verhältnis von Zwecken und Mitteln, nicht in den Zwecken an sich; die überantwortete er der subjektiven, irrationalen Entscheidung. Das Ganze bleibt, in der Verfügung Weniger über die Produktionsmittel und in den unerbittlich davon verursachten Konflikten, so unvernünftig, schicksalhaft und bedrohlich wie von altersher. Je rationaler sich das Ganze ineinanderfügt und schließt, desto furchtbarer wächst seine Gewalt über die Lebendigen an samt der Unfähigkeit von deren Vernunft, es zu ändern. Will aber das Bestehende in solcher Irrationalität rational sich rechtfertigen, so muß es Sukkurs suchen bei eben dem Irrationalen, das es ausrottet, bei der Tradition, die doch, ein Unwillkürliches, dem Zugriff sich entzieht, falsch wird durch den Appell. Die Gesellschaft appliziert sie planvoll als Kitt, in der Kunst hält sie her als verordneter Trost, der die Menschen über ihre Atomisierung auch in der Zeit beruhigen soll. Seit den Anfängen der bürgerlichen Periode haben die Angehörigen des Dritten Standes gefühlt, daß ihrem Fortschritt und ihrer Vernunft, die virtuell alle qualitativen Differenzen des Lebendigen ausmerzt, etwas fehlt. Ihre Dichter, die mit dem Hauptstrom schwammen, haben über den den prix du progrès gespottet, von Molières Komödie 'Le Bougeois Gentilhomme' bis zu Gottfried Kellers Familie Litumlei, die sich synthetische Ahnenbilder zulegt. All die Literatur, welche den Snobismus anprangert, der doch einer Gesellschaftsform immanent ist, in der die formale Gleichheit der inhaltlichen und der Herrschaft dient, verdeckt die Wunde, in die sie Salz streut. Schließlich verwandelt sich die vom bürgerlichen Prinzip abgetötete und manipulierte Tradition in Giftstoff. Auch genuin traditionale Momente, bedeutende Kunstwerke der Vergangenheit arten in dem Augenblick, in dem das Bewußstein sie als Reliquien anbetet, in Bestandstücke einer Ideologie aus, die am Vergangenen sich labt, damit am Gegenwärtigen nichts sich ändere, es sei denn durch ansteigende Gebundenheit und Verhärtung. Wer Vergangenes liebt und, um nicht zu verarmen, solche Liebe nicht sich austreiben läßt, exponiert sich sogleich dem perfid begeisterten Mißverständis, er meine es nicht so böse und lasse auch über die Gegenwart mit sich reden.

Adorno

Brazil – Ministry of Information

Dienstag, 12. April 2011

Das System gibt mir Befehle, und die Dinge beginnen zu existieren!

Die Irrealtiät wuchs in einem solchen Maße, daß sogar Mama keinen Kontakt mehr zwischen uns herzustellen vermochte. Seit einiger Zeit klagte ich mehr und mehr darüber, daß die Dinge "mich schikanieren". Ich litt entsetzlich darunter. Dabei taten sie gar nichts Besonderes, sie griffen mich nicht direkt an, sie redeten nicht. Was mich sagen ließ, daß sie "mich schikanieren", war ihre Gegenwart. Ich sah die Gegenstände so ausgeschnitten, so voneinander losgelöst, so glatt, ähnlich wie Mineralien, so erleuchtet und angespannt, daß sie mir irrsinnige Angst machten; wenn ich zum Beispiel einen Stuhl oder ein Gefäß ansah, dann dachte ich nicht mehr an ihre Verwendung, ihre Funktion. Es war kein Gefäß mehr, das dazu dient, mit Wasser oder Milch gefüllt zu werden, oder ein Stuhl, der zum Sitzen da ist. Nein! Sie hatten ihren Namen, ihre Funktion, ihre Bedeutung verloren; sie waren "Dinge" geworden. Und diese "Dinge" begannen nun zu existieren. Eben diese Existenz jagte mir solche Angst ein. In diesem irrealen Dekor, in der undurchdringlichen Stille meiner Wahrnehmung tauchte mit einem Mal "das Ding" auf. Jenes Steingutgefäß, mit blauen Blumen bemalt, war plötzlich da, mir gegenüber, und verspottete mich mit seiner Gegenwart, seinem Dasein. Dann wandte ich meinen Blick von ihm ab, um weniger Angst zu haben, doch dann begegnete ich einem Stuhl, einem Tisch, die ebenfalls existierten und ihre Gegenwart bekundeten. Ich versuchte, ihrem Zugriff dadurch zu entgehen, daß ich ihren Namen aussprach. Ich sagte "Stuhl", "Krug", "Tisch" – "Das ist ein Stuhl" –; doch das Wort war wie abgezogen, jeder Bedeutung entleert, es hatte den Gegenstand verlassen, sich von ihm losgelöst, so daß es auf der einen Seite das "lebendige spöttische Ding" gab und auf der anderen seinen sinnentleerten Namen, wie ein seines Inhalts entleerter Umschlag. Es gelang mir nicht mehr, sie wieder zusammenzubringen. Und so blieb ich da stehen, vor ihnen, voller Angst und Schrecken. Dann beklagte ich mich und sagte: "Die Dinge schikanieren mich! Ich habe Angst!" Wenn man mich um nähere Angaben bat und fragte: "Sehen Sie, ob dieses Gefäß, dieser Stuhl lebendig ist?", antwortete ich: "Ja, sie sind lebendig." Und die Leute, einschließlich der Ärzte, meinten, ich würde die Gegenstände wie Menschen wahrnehmen, ich würde sie sprechen hören. Das war aber nicht der Fall. Ihr Leben bestand einzig in ihrer Gegenwart, ihrer Existenz. Um ihnen zu entfliehen, verbarg ich den Kopf in meinen Armen oder verzog mich in einen Winkel. Ich durchlebte damals eine Zeit heftiger Erregung. Alles bewegte sich, existierte, verspottete mich. Auf der Straße kam es mir vor, als seien die Leute toll geworden, als bewegten sie sich völlig grundlos, als träfen sie mit sich selber und den Dingen zusammen, die wirklicher geworden waren als sie selbst. Zur gleichen Zeit erhielt ich Befehle vom System. Aber ich vernahm sie nicht so, als ob es Stimmen wären. Nichtsdestoweniger waren sie ebenso gebieterisch, als wenn sie laut gesprochen hätten. Wenn ich zum Beispiel Schreibmaschine schrieb, überfiel mich plötzlich, ohne daß ich irgendwie darauf gefaßt war, eine Macht, die kein Trieb war, sondern einem Befehl glich und mir befahl, ich solle mir die rechte Hand verbrennen oder das Haus anzünden, in dem ich mich befand. Ich leistete diesen Befehlen mit aller Kraft Widerstand. Ich rief Mama an, um ihr zu erzählen, daß ich Befehle vom System erhielt. Ihre Stimme beruhigte mich, indem sie mir sagte, daß ich nur auf sie, die Mama, hören solle und nicht auf das System und daß ich, wenn es zudringlich werde, schnell zu ihr kommen solle, und das beruhigte mich sehr, doch leider nur für einen kurzen Augenblick. Eine unausprechliche Angst schnürte mir das Herz zusammen, keine Entscheidung vermochte sie zu beschwichtigen. Wenn ich mich weigerte zu gehorchen, fühlte ich mich schuldig und feige, weil ich es nicht wagte, und die Angst steigerte sich. Und der Befehl wurde um so stärker. Wenn ich mich dem Feuer näherte und meine Hand ausstreckte, um endlich nachzugeben, überkam mich ein intensives Schuldgefühl, so als würde ich etwas Böses tun, und wiederrum steigerte sich die Angst. Und ich muß zugeben, daß bei dieser Alternative sich die Angst stets als stärker erwies. Ich fühlte, daß ich, wenn ich dem Befehl gehorchen würde, etwas tun würde, was nicht wieder gut zu machen wäre und meine Persönlichkeit zersetzen würde. Außerdem hatte ich in beiden Fällen – dem Befehl zu gehorchen oder nicht zu gehorchen – den Eindruck von etwas künstlichem, Komödienhaftem. Dabei war ich allein, niemand außer Mama wußte von meinem Kampf. Im übrigen hatte ich auch den Eindruck als sei mein ganzes Verhalten verlogen. In Wirklichkeit war das überhaupt nicht der Fall! Ich war absolut aufrichtig. Wenn ich jedoch dem System nicht gehorchte, um die Integrität meiner Person zu retten, fand ich mich verlogen, da ich so tat, als würde ich den Befehl nicht beachten. Und wenn ich ihm gehorchte, fühlte ich mich ebenfalls verlogen, da ich nicht damit einverstanden war, mich zu verbrennen. Ich litt sehr unter diesen Befehlen und dem Gefühl der Verlogenheit, das meiner Persönlichkeit so sehr entgegenstand. Während ich mit aller Kraft kämpfte, um nicht von der Erleuchtung überrannt zu werden, sah ich, wie die Gegenstände mich aus ihrer Ecke heraus bedrohlich verhöhnten. Und in meinem Kopf jagten sich unaufhörlich sinnlose Sätze. Ich schloß die Augen, um all dieser Unruhe zu entgehen, in deren Mittelpunkt ich stand. Doch es nützte nichts: denn dann sprangen mich grauenvolle Bilder an, so lebendig, daß ich wirkliche Empfindungen in meinem Körper verspürte. Ich kann nicht behaupten, daß ich tatsächlich Bilder sah; ich fühlte sie eher. Zum Beispiel meinte ich, daß mein Mund voller Vögel sei, die ich zerkaute und die mich mit ihren Federn, ihren zermalmten Knochen und ihrem Blut erstickten. Oder ich sah Leute, die ich in Milchdosen einsperrte und die langsam verfaulten, und ich verschlang diese verwesenden Kadaver. Es war grauenvoll. Oder ich verschlang den Kopf einer Katze, die mich ihrerseits von innen her auffraß.
Inmitten dieses Grauen gelang es mir noch, meine Arbeit als Sekretärin zu verrichten. Doch unter welchen Qualen!
Bald kamen auch noch Schreie hinzu, schrille Schreie, die meinen Kopf durchzuckten. Ihre Plötzlichkeit ließ mich aufschrecken. Dabei hörte ich sie nicht so, wie ich wirkliche Schreie, von wirklichen Leuten ausgestoßen, hörte. Aber es waren Schreie, die mich so schnell wie möglich die Ohren zuhalten ließen. Ich hörte sie zu meiner Rechten. Aber ich konnte sie sehr wohl von den Schreien der Realität unterscheiden. Ich hörte sie, ohne sie zu hören. Ich vernahm sie von innen. Ich litt entsetzlich unter meinem Zustand. Immer mehr hatte ich das Gefühl, daß ich mich ganz und gar von dem System gefangennehmen ließ und daß ich immer tiefer hineinstürzte in das Land der Erleuchtung oder das "Land der Befehle", wie ich es auch nannte.
Die einzigen Augenblicke, in denen ich Frieden hatte, waren meine analytischen Sitzungen, insbesondere gegen Ende der Stunden, wenn es mir gelungen war, ein wenig Kontakt zu Mama zu spüren. Ich flehte sie an, mich zu verteidigen, mich vor dem Einfluß der Erleuchtung und dem Dasein der Dinge zu retten. Doch trotz iher Willenskraft war sie in solchen Momenten dem System gegenüber machtlos. Es war schon ein herrlicher Sieg, daß sie sich ihm hatte widersetzen können und ich immer bei ihr Zuflucht suchte, wenn ich in Gefahr war.
Schließlich geschah das Unglück. Die Befehle wurden immer gebieterischer, immer herausfordernder: ich sollte mir die rechte Hand verbrennen, denn es war die Hand des Gebots. In dem System nämlich gab es einen ungeheuren Zusammenhang. Ich hatte – ohne es zu wissen – über einige Leute Strafen verhängt und mußte nun meinerseits bestraft werden. Jene Leute, die von mir bestraft worden waren, hatten das Recht zu strafen; doch für jede Strafe, die sie austeilten, erhielten sie eine neue. Sobald ich den Mechanismus des Strafsystems, in das ich eingeschlossen war, durchschaute, kämpfte ich immer weniger gegen die Befehle an. Eines Tages legte ich zitternd meine rechte Hand mit der Außenseite auf glühende Kohlen und hielt sie dort, solange ich konnte. Die Kraft, den Schmerz zu ertragen, schöpfte ich aus dem Gedanken, daß ich damit meine Pflicht gegenüber dem System erfüllte und daß es nun aufhören würde, mir Befehle zu erteilten. Doch genau in diesem Augenblick kam unerwartet der Bürochef herein. Hastig zog ich die Hand zurück und war froh darübe, daß er anscheinend nichts bemerkt hatte. Ich täuschte mich. Wahrscheinlich hatte er begriffen, denn er rief den Arzt an, dem die Überwachung der Geistekranken oblag und der zufällig auch mein behandelnder Arzt war. Und nach der Konsultation, bei der auch erwogen wurde, mich in eine Heilanstalt zu bringen, sprach ich von der Existenz der Gegenstände, die mich schikanierten, und von dem System, das mich umschlossen hatte, weil dies alles völlig eins war mit mir, während ich meine Verbrennung verschwieg und auch die Befehle, die ich erhielt, denn ich war nie ganz mit ihnen einverstanden. Dies genügte jedoch, daß man mich in eine Klinik einwies.

Tagebuch einer Schizophrenen, Marguerite Sechehaye

Gustav Mahler - Ich bin der Welt abhanden gekommen

Automaten

Ich kenne ein Land, wo die Automaten Sonntagsruhe haben und unter der Woche nicht funktionieren.

Karl Kraus

Montag, 11. April 2011

Der Mensch und das Meer


Du freier Mensch, der Meere liebt und preist!
Dein Spiegel sind sie, der die Seele zeigt,
Wo ohne Ende Brandung fällt und steigt;
Nicht minder bittrer Abgrund ist dein Geist.

Und du vertiefst dich und umgreifst dein Bild
Mit Aug und Arm, aus seinem eigenen Brüten
Löst manchmal sich dein Herz bei diesem Wüten
Und dieser Klage, unbezähmbar wild.

Verschwiegen beide, dunkel wie die Nacht:
Mensch, wer kann deine Tiefen je ergründen,
Meer, wer kann deinen innern Reichtum finden,
Da ihr Geheimnisse mit Eifersucht bewacht!

Schon seit Jahrtausenden und immer wieder
Stürzt ihr euch mitleidlos in euren Streit,
So sehr liebt ihr den Tod und Grausamkeit,
O ewige Kämpfer, o entzweite Brüder!

*

L'Homme et la mer

Homme libre, toujours tu chériras la mer!
La mer est ton miroir; tu contemples ton âme
Dans le déroulement infini de sa lame,
Et ton esprit n'est pas un gouffre moins amer.

Tu te plais à plonger au sein de ton image;
Tu l'embrasses des yeux et des bras, et ton coeur
Se distrait quelquefois de sa propre rumeur
Au bruit de cette plainte indompable et sauvage.

Vous êtes tous les deux ténébreux et discrets:
Homme, nul n'a sondé le fond de tes abîmes;
Ô mer, nul ne connaît tes richesses intimes,
Tant vous êtes jaloux de garder vos secrets!

Et cependant voilâ des siècles innombrables
Que vous vous combattez sans pitié ni remord,
Tellement vous aimez le carnage et la mort,
Ô lutteurs éternels, ô frères implacables!

Charles Baudelaire, übersetzt von Monika Fahrenbach-Wachendorff

Sonntag, 10. April 2011

Anni Rossi - Wheelpusher

Gil Scott Heron - Lovely Day

Gewohnheit und Aufmerksamkeit

Die erste aller Eigenschaften, sagt Goethe, ist die Aufmerksamkeit. Sie teilt jedoch den Vorrang mit der Gewohnheit, die ihr vom ersten Tag an das Feld bestreitet. Alle Aufmerksamkeit muß in Gewohnheit münden, wenn sie den Menschen nicht sprengen, alle Gewohnheit von Aufmerksamkeit verstört werden, wenn sie den Menschen nicht lähmen soll. Aufmerken und Gewöhnung, Anstoß nehmen und Hinnehmen sind Wellenberg und Wellental im Meer der Seele. Dieses Meer aber hat seine Windstillen. Daß einer, der ganz und gar auf einen quälenden Gedanken, auf einen Schmerz und seine Stöße sich konzentriert, dem leistesten Geräusche, einem Murmeln, dem Flug eines Insekts zur Beute werden kann, den ein aufmerksameres und schärferes Ohr vielleicht gar nicht vernommen hätte, steht außer Zweifel. Die Seele, so meint man, läßt sich um so leichter ablenken, je konzentrierter sie ist. Aber ist dieses Lauschen nicht weniger das Ende als die äußerste Entfaltung der Aufmerksamkeit – der Augenblick, da sie aus ihrem eigenen Schoße die Gewohnheit hervorgehen läßt? Dies Schwirren oder Summen ist die Schwelle, und unvermerkt hat die Seele sie überschritten. Es ist, als wolle sie nie mehr in die gewohnte Welt zurück, sie wohnt nun in einer neuen, in der der Schmerz ihr Quartiermacher ist. Aufmerksamkeit und Schmerz sind Komplemente. Doch auch Gewohnheit hat ein Komplement, und dessen Schwelle übertreten wir im Schlaf. Denn was im Traume sich an uns vollzieht, ist ein neues und unerhörtes Merken, das sich im Schoße der Gewohnheit losringt. Erlebnisse des Alltags, abgedroschene Reden, der Bodensatz, der uns im Blick zurückblieb, das Pulsen des eigenen Blutes – dies vorher Unvermerkte macht – verstellt und überscharf – den Stoff zu Träumen. Im Traum kein Staunen und im Schmerze kein Vergessen, weil beide ihren Gegensatz schon in sich tragen, wie Wellenberg und Wellental bei Windstille ineinander gebettet liegen.

Walter Benjamin

Freitag, 8. April 2011

Samstag, 22. Januar 1944

Liebe Kitty,
Kannst Du mir vielleicht sagen, wie es kommt, daß die meisten Menschen ihr Inneres so ängstlich verbergen? Wie es kommt, daß ich mich in Gesellschaft ganz anders benehme, als ich es tun müßte? Ich weiß, daß es sicher Gründe dafür gibt, aber ich finde es unheimlich, daß man selbst den Menschen, die einem am nächsten stehen, nie ganz vertraut.
Ich habe das Gefühl, daß ich seit jenem Traum viel älter geworden bin, viel mehr "eine Persönlichkeit". Du wirst auch sehr erstaunt sein, wenn ich Dir jetzt sage, daß ich auch die v. Daans nun anders einschätze. Ich sehe die Diskussionen und Reibereien nicht nur von unserem voreingenommen Standpunkt.
Warum bin ich so verändert?
Ja, siehst Du, ich habe darüber nachgedacht, daß unser Verhältnis untereinander ganz anders hätte sein können, wenn Mutter eine richtige ideale Mams wäre. Bestimmt ist Frau v. Daan alles andere als ein feiner Mensch. Aber vielleicht hätte die Hälfte aller Auseinandersetzungen vermieden werden können, wenn Mutter auch weniger schwierig im Umgang wäre und sich die Gespräche nicht so zuspitzten. Frau v. Daan hat nämlich auch eine gute Seite: Sie läßt mit sich reden. Trotz allem Egoismus, der Knauserigkeit und der Streitsucht ist sie leicht zum Nachgeben zu bewegen, wenn man sie nicht reizt und aufstachelt. Dies Mittel wirkt zwar nicht auf die Dauer, aber wenn man Geduld mit ihr hätte, käme man wahrscheinlich auch weiter. Alle Fragen hier über unsere Erziehung, Verwöhnung, Essen usw. hätten offen und freundschaftlich besprochen werden müssen. Dann wäre es nicht so weit gekommen, daß man immer nur die schlechten Seiten der anderen sieht!
Ich weiß genau, was Du jetzt sagen willst, Kitty!
"Aber, Anne, stammen diese Gedanken von Dir? Von Dir, die soviel harte Worte 'von oben' gehört hat? Von Dir, die all das Unrecht kennt, das geschehen ist?" Ja, es kommt wirklich von mir! Ich will selbst alles ergründen, aber nicht nach dem Sprichwort: "Wie die Alten sungen...", nein, ich will die v. Daans beobachten und sehen, was wahr und was übertrieben ist. Wenn ich dann auch entäuscht bin, kann ich an demselben Strick mit den Eltern weiterziehen. Sind die beiden oben aber besser als ihr Ruf, würde ich erst versuchen, Vater und Mutter von ihrer falschen Einstellung abzubringen, und wenn das nicht glücken sollte, würde ich doch meine eigene Meinung und mein Urteil behalten. Ich werde jede Gelegenheit benutzen, um über allerlei mit Frau v. Daan zu sprechen, und mich bestimmt nicht scheuen, ganz neutral meine Meinung zu äußern.
Ich bin nun doch einmal das Fräulein Naseweis.
Ich will nun nicht etwa gegen meine eigene Familie auftreten, aber Klatschen gibt's von nun an bei mir nicht mehr. Bisher glaubte ich felsenfest, daß van Daans an allem schuld haben, aber ein Teil wird wohl auch an uns liegen. Im Prinzip hatten wir wahrscheinlich immer recht. Aber von vernünftigen Menschen – wozu wir uns doch rechnen – erwartet man, daß sie mit den verschiedensten Menschen umgehen können. Da mir nun diese Einsicht gekommen ist, hoffe ich, daß ich Gelegenheit haben werde, sie auch in die Praxis umzusetzen!    Anne

Das Tagebuch der Anne Frank

You have meddled with the primary forces of nature, Mr Beale


You have meddled with the primary forces of nature, Mr Beale, and I won't have it! Is that clear?

You think you merely stopped a business deal. That is not the case. The Arabs have taken billions of dollars out of this country, and now they must put it back! It is ebb and flow, tide and gravity. It is ecological balance.

You are an old man who thinks in terms of nations and peoples. There are no nations. There are no peoples. There are no Russians. There are no Arabs. There are no Third Worlds. There is no West. There is only one holistic system of systems. One vast and immane, interwoven, interacting, multi-varied, multi-national dominion of dollars. Petro-dollars, electro-dollars, multi-dollars, reichmarks, rands, rubles, pounds and shekels.

It is the international system of currency which determines the totality of life on this planet. That is the natural order of things today. That is the atomic, and sub-atomic and galactic structure of things today.

And YOU have meddled with the primal forces of nature. And you will atone.

Am I getting through to you, Mr Beale?

You get up on your little twenty-one inch screen and howl about America and democracy. There is no America. There is no democracy. There is only IBM and ITT and AT&T, and DuPont, Dow, Union Carbide and Exxon. Those are the nations of the world today.

What do you think the Russians talk about in their Councils of State? Karl Marx? They get out their linear programming charts, statistical decision theories, mini-max solutions, and compute the price-cost probabilities of their transactions and investments, just like we do.

We no longer live in a world of nations and ideologies, Mr Beale. The world is a college of corporations, inexorably determined by the immutable bye-laws of business. The world is a business, Mr Beale. It has been since man crawled out of the slime.

And our children will live, Mr Beale, to see that ... perfect ... world in which there is no war nor famine, oppression or brutality. One vast and ecumenical holding company for whom all men will work to serve a common profit. In which all men will hold a share of stock.

All necessities provided. All anxieties tranquilized. All boredom amused.

Network (1976)

Donnerstag, 7. April 2011

Mittwoch, 6. April 2011

Karl Kraus

Die Widersprüche im Künstler müssen sich irgendwo in einer höheren Ebene treffen, und wäre es dort wo Gott wohnt.

Kunst bringt das Leben in Unordnung. Die Dichter der Menschheit stellen immer wieder das Chaos her.

Medizinischer Sinnspruch: Was den Vätern alte Hosen, sind den Söhnen die Neurosen.

Der Bürger duldet nichts unverständliches im Haus.

Der Künstler soll mehr erleben? Er erlebt mehr!

Wer seine Haut zu Markt getragen, hat mehr Recht auf Empfindlichkeit, als wer dort ein Kleid erhandelt hat.

Die Sprache hat in Wahrheit der, der nicht das Wort, sondern nur den Schimmer hat, aus dem er das Wort ersehnt, erlöst und empfängt.

Der Erzähler unterscheidet sich vom Politiker nur dadurch, daß er Zeit hat. Gemeinsam ist beiden, daß die Zeit sie hat.

Trauer und Scham sollten alle Pausen wahrer Männlichkeit bedecken. Der Künstler hat außerhalb des Schaffens nur seine Nichtswürdigkeit zu erleben.

Ich lasse mich nicht hindern zu gestalten, was mich hindert zu gestalten.

Das Futurum der Futuristen ist ein Imperfektum exaktum.

Die Qual läßt mich nicht zur Wahl? Doch, ich wähle die Qual.

Es ist halt ein Unglück, dass mir zu jedem Lumpen etwas einfällt. Aber ich glaube, daß es sich immer auf einen abwesenden König bezieht.

Spoon - I Summon You

Erwachsene?

Wir Erwachsene werden nicht erwachsen, weil wir so tun (müssen) als wären wir erwachsen.

Bing

Alles gewußt alles weiß nackter weißer Leib ein Meter Beine aneinander wie genäht. Licht Wärme weißer Boden ein Quadratmeter nie gesehn. Weiße Wände ein Meter mal zwei weiße Decke ein Quadratmeter nie gesehn. Nackter weißer Leib starr nur die Augen kaum. Spuren Gewirr hellgrau fast weiß auf weiß. Hände hängend offen Inneres nach vorn weiße Füße Fersen aneinander rechter Winkel. Licht Wärme weiße Flächen gleißend. Nackter weißer Leib starr hop starr woanders. Spuren Gewirr Zeichen ohne Sinn hellgrau fast weiß. Nackter weißer Leib starr unsichtbar weiß auf weiß. Nur die Augen kaum hellblau fast weiß. Kopf Kugel recht hoch Augen hellblau fast weiß starr nach vorn Stille drinnen. Kurze Gemurmel kaum fast nie alle gewußt. Spuren Gewirr Zeichen ohne Sinn hellgrau fast weiß auf weiß. Beine aneinander wie genäht Fersen aneinander rechter Winkel. Spuren allein unfertig schwarz gegeben hellgrau fast weiß auf weiß. Licht Wärme weiße Wände gleißend ein Meter mal zwei. Nackter weißer Leib starr ein Meter hop starr woanders. Spuren Gewirr Zeichen ohne Sinn hellgrau fast weiß. Weiße Füße unsichtbar Fersen aneinander rechter Winkel. Augen allein unfertig blau gegeben hellblau fast weiß. Gemurmel kaum fast nie eine Sekunde vielleicht nicht allein. Kaum rosa gegeben nackter weißer Leib starr ein Meter weiß auf weiß unsichtbar. Licht Wärme kurze Gemurmel kaum fast nie immer die gleichen alle gewußt. Weiße Hände unsichtbar hängend offen Inneres nach vorn. Gemurmel kaum fast nie eine Sekunde vielleicht ein Ausweg. Kopf Kugel recht hoch Augen hellblau fast weiß bing Gemurmel bing Stille. Augen Löcher hellblau fast weiß Mund weißer Saum wie genäht unsichtbar. Bing vielleicht eine Natur eine Sekunde fast nie soviel Gedächtnis fast nie. Weiße Wände jede ihre Spur Gewirr Zeichen ohne Sinn hellgrau fast weiß. Licht Wärme alles gewußt alles weiß unsichtbare Flächenwinkel. Bing Gemurmel kaum fast nie eine Sekunde vielleicht ein Sinn soviel Gedächtnis fast nie. Weiße Füße unsichtbar Fersen aneinander rechter Winkel hop Winkel woanders ohne Laut. Hände hängend offen Inneres nach vorn Beine aneinander wie genäht. Kopf Kugel recht hoch Augen hellblau fast weiß starr nach vorn Stille drinnen. Hop woanders wo seit jeher wenn nicht gewußt daß nicht. Nur die Augen allein unfertig blau gegeben Löcher hellblau fast weiß einzige Farbe starr nach vorn. Alles gewußt alles weiß weiße Flächen gleißend bing Gemurmel kaum fast nie eine Sekunde Sternzeit soviel Gedächtnis fast nie. Nackter weißer Leib starr ein Meter hop starr woanders weiß auf weiß unsichtbar Herz Atem ohne Laut. Allein die Augen blau gegeben hellblau fast weiß starr nach vorn einzige Farbe allein unfertig. Unsichtbare Flächenwinkel nur eine Fläche gleißend weiß ohne Ende wenn nicht gewußt daß nicht. Nase Ohren weiße Löcher Mund weißer Saum wie genäht unsichtbar. Bing Gemurmel kaum fast nie eine Sekunde immer die gleichen alles gewußt. Kaum rosa gegeben nackter weißer Leib starr unsichtbar alles gewußt draußen drinnen. Bing vielleicht eine Natur eine Sekunde mit Bild gleiche Dauer etwas weniger blau und weiß im Wind. Weiße Decke gleißend ein Quadratmeter nie gesehn bing vielleicht da ein Ausweg eine Sekunde bing Stille. Spuren allein unfertig schwarz gegeben graues Gewirr Zeichen ohne Sinn hellgrau fast weiß immer die gleichen. Bing vielleicht nicht allein eine Sekunde mit Bild immer das gleiche gleiche Dauer etwas weniger soviel Gedächtnis fast nie bing Stille. Kaum rosa herabgefallen weiße Nägel fertig. Lange Haare herabgefallen weiß unsichtbar fertig. Unsichtbare Narben gleiches Weiß wie das Fleisch kaum rosa einst verwundet. Bing Bild kaum fast nie eine Sekunde Sternzeit blau und weiß im Wind. Kopf Kugel recht hoch Nase Ohren weiße Löcher Mund weißer Saum wie genäht unsichtbar fertig. Allein die Augen blau gegeben starr nach vorn hellblau fast weiß einzige Farbe allein unfertig. Licht Wärme weiße Fläche gleißend nur eine gleißend weiß ohne Ende nicht gewußt daß nicht. Eine Natur kaum fast nie eine Sekunde mit Bild gleiche Dauer etwas weniger immer das gleiche blau und weiß im Wind. Spuren Gewirr hellgrau Augen Löcher hellblau fast weiß starr nach vorn bing vielleicht ein Sinn kaum fast nie bing Stille. Nacktes Weiß ein Meter starr hop starr woanders ohne Laut Beine aneinander wie genäht Fersen aneinander rechter Winkel Hände hängend offen Inneres nach vorn. Kopf Kugel recht hoch Augen Löcher hellblau fast weiß starr nach vorn Stille drinnen hop woanders wo seit jeher wenn nicht gewußt daß nicht. Bing vielleicht nicht allein eine Sekunde mit Bild gleiche Dauer etwas weniger Auge schwarz und weiß halb geschlossen lange Wimpern flehend soviel Gedächtnis fast nie. Dereinst Zeitblitz alles weiß fertig alles einst hop Blitz weiße Wände gleißend ohne Spuren Augen letzte Farbe hop weiß fertig. Hop starr letztes Woanders Beine aneinander wie genäht Fersen aneinander rechter Winkel Hände hängend offen Inneres nach vorn Kopf Kugel recht hoch Augen weiß unsichtbar nackt weiß alles gewußt draußen drinnen fertig. Weiße Decke nie gesehn bing einst kaum fast nie eine Sekunde weißer Boden nie gesehn vielleicht da durch. Bing einst kaum vielleicht ein Sinn eine Natur eine Sekunde fast nie blau und weiß im Wind soviel Gedächtnis nie mehr. Weiße Flächen ohne Spuren nur eine gleißend weiß ohne Ende wenn nicht gewußt daß nicht. Licht Wärme alles gewußt alles weiß Herz Atem ohne Laut. Kopf Kugel recht hoch weiße Augen starr nach vorn altes bing letztes Gemurmel vielleicht nicht allein eine Sekunde Auge matt schwarz und weiß halb geschlossen lange Wimpern flehend bing. Stille hop fertig.

Samuel Beckett

Montag, 4. April 2011

Sonntag, 3. April 2011

Weinen, dem die Tränen fehlen

(…) Gleichwohl wird Schein im Ausdruck am flagrantesten, weil dieser als Scheinloses auftritt und dennoch dem ästhetischen Schein sich subsumiert; große Kritik hat am Ausdruck als Schauspielerei sich entzündet. Das mimetische Tabu, ein Hauptstück bürgerlicher Ontologie, griff in der verwalteten Welt über auch auf die Zone, die der Mimesis tolerant reserviert war, und hat in ihr heilsam die Lüge menschlicher Unmittelbarkeit aufgespürt. Darüber hinaus jedoch dient jede Allergie dem Haß gegen das Subjekt, ohne das doch keine Kritik an der Warenwelt sinnvoll wäre. Es wird abstrakt negiert. Wohl ist das Subjekt, das kompensatorisch desto mehr sich aufspielt, je ohnmächtiger und funktionaler es wurde, im Ausdruck bereits dadurch falsches Bewußtsein, daß es als sich Ausdrückendes eine Relevanz vortäuscht, die ihm entzogen ward. Aber die Emanzipation der Gesellschaft von der Vorherrschaft ihrer Produktionsverhältnisse hat zum Ziel die reale Herstellung des Subjekts, welche die Verhältnisse bislang verhindert haben, und Ausdruck ist nicht bloß Hybris des Subjekts sondern Klage über sein eigenes Misslingen als Chiffre seiner Möglichkeit. Wohl hat die Allergie gegen den Ausdruck ihre tiefste Legitimation daran, daß etwas in jenem, vor aller ästhetischen Zurüstung, zur Lüge tendiert. Ausdruck ist a priori ein Nachmachen. Illusionär das latent ihm innewohnenden Vertrauen, es werde, indem es gesagt oder herausgeschrien wird besser, ein magisches Rudiment, Glaube an die von Freud polemisch so genannte „Allmacht des Gedankens“. Aber nicht durchaus verbleibt der Ausdruck im magischen Bann. Daß es gesagt, daß darin von der gefangenen Unmittelbarkeit des Leidens Distanz gewonnen wird, verändert es so, wie Brüllen den unerträglichen Schmerz abschwächt. Vollends der zur Sprache objektivierte Ausdruck persistiert, das einmal Gesagte verhallt kaum gänzlich, das Böse nicht und nicht das Gute, die Parole von der Endlösung so wenig wie die Hoffnung auf Versöhnung. Was Sprache gewinnt, tritt ein in die Bewegung eines Menschlichen, das noch nicht ist und kraft seiner Hilflosigkeit, die es zur Sprache nötigt, sich regt. Das Subjekt, hinter seiner Verdinglichung hertappend, schränkt diese durch das mimetische Rudiment ein, Statthalter unbeschädigten Lebens mitten im beschädigten, welches das Subjekt zur Ideologie herrichtete. Die Unentwirrbarkeit beider Momente umschreibt die Aporie des künstlerischen Ausdrucks. Nichts ist generell darüber zu urteilen, ob einer, der mit allem Ausdruck tabula rasa macht, Lautsprecher verdinglichten Bewußtseins ist oder der sprachlose, ausdruckslose Ausdruck, der jenes denunziert. Authentische Kunst kennt den Ausdruck des Ausdruckslosen, Weinen, dem die Tränen fehlen. Dagegen fügt die blanke, neusachliche Exstirpation des Ausdrucks der universalen Anpassung sich ein und unterwirft die antifunktionale Kunst einem Prinzip, das einzig durch Funktionalität sich begründen könnte. Verkannt wird von dieser Reaktionsweise das nicht Metaphorische, nicht Ornamentale am Ausdruck; je rückhaltloser die Kunstwerke ihm sich öffnen, desto mehr werden sie zu Ausdrucksprotokollen, wenden Sachlichkeit nach innen. Soviel zumindest ist an den zugleich ausdrucksfeindlichen und sich selbst, wie Mondrian, als positiv erklärenden mathematisierten Kunstwerken evident, daß sie den Prozeß über den Ausdruck nicht entschieden haben. Soll schon das Subjekt nicht unmittelbar mehr sprechen dürfen, so soll es doch – nach der Idee der nicht auf absolute Konstruktion eingeschworenen Moderne – durch die Dinge sprechen, durch deren entfremdete und lädierte Gestalt.

Adorno, Ästhetische Theorie

Robert Bresson - L'Argent

Keine Katharsis

 
... es gibt eine Idee Patrick Bateman, einen abstrakten Entwurf, aber kein wahres Ich, nur eine Erscheinung, etwas schemenhaftes, und obwohl ich in der Lage bin, mein kaltes Starren zu verbergen, und du mir die Hand schütteln kannst und dabei Fleisch spürst, das dein Fleisch umschließt, und vielleicht sogar das Gefühl hast, unser Lebensstil sei vergleichbar: Ich bin einfach nicht da. Es fällt mir in jeder Beziehung schwer, Hand und Fuß zu haben. Mein Ich ist künstlich, eine Anomalie. Ich bin ein unkontingentes menschliches Wesen. Meine Persönlichkeit ist rudimentär und ungeformt, meine Herzlosigkeit geht tief und ist gefestigt. Mein Bewußtsein, mein Mitgefühl, meine Hoffnungen, sind schon lange verschwunden (vielleicht in Harvard), als hätten sie nie existiert. Es gibt keine Grenzen mehr zu überschreiten. Alles, was mich gemein macht mit den Unkontrollierten und Wahnsinnigen, den Grausamen und Bösen, all die Blutbäder, die ich verursacht habe, und meine völlige Gleichgültigkeit darüber, habe ich jetzt selbst übertroffen. Und trotzdem klammere ich mich an eine einzige platte Wahrheit: Niemand ist sicher, nichts ist gesühnt. Und doch bin ich schuldlos. Jedem Modell menschlicher Verhaltensmuster muß eine gewisse Berechtigung zugestanden werden. Ist das Böse etwas, was man ist? Oder ist es das, was man tut? Mein Schmerz ist konstant und schneidend, und ich hoffe für keinen auf eine bessere Welt. Tatsächlich will ich, daß mein Schmerz auch andere erleiden. Ich will, daß keiner davonkommt. Aber selbst nach diesem Eingeständnis – das ich zahllose Male gemacht habe, bei fast allen Taten, die ich begangen habe – und nachdem ich mich der Wahrheit gestellt habe, tritt keine Katharsis ein. Ich erfahre keine tiefere Wahrheit über mich selbst, keine neue Erkenntnis kann aus meiner Beichte gezogen werden. Ich hatte gar keinen Grund, Ihnen das zu erzählen. Dieses Geständnis hat nichts zu bedeuten ...

Bret Easton Ellis, American Psycho
Gemälde von Giacometti

Sie vertreibt die Zeit – sie vertreibt sie nicht!

Mir scheint alle Kunst nur Kunst für heute zu sein, wenn sie nicht Kunst gegen heute ist. Sie vertreibt die Zeit – sie vertreibt sie nicht! Der wahre Feind der Zeit ist die Sprache. Sie lebt in unmittelbarer Verständigung mit dem durch die Zeit empörten Geist. Hier kann jene Verschwörung zustande kommen, die Kunst ist. Die Gefälligkeit, die von der Sprache die Worte stiehlt, lebt in der Gnade der Zeit. Kunst kann nur von der Absage kommen. Nur vom Aufschrei, nicht von der Beruhigung. Die Kunst, zum Troste gerufen, verlässt mit einem Fluch das Sterbezimmer der Menschheit. Sie geht durch Hoffnungsloses zur Erfüllung.

Karl Kraus

Der dialektische Unterschied

Sie will das Leben – er sucht den Tod