Montag, 31. Januar 2011

Über Anmuth und Würde

Wenn man auf Theatern oder Ballsälen Gelegenheit hat, die affektirte Anmut zu beobachten, so kann man oft in den Kabinetten der Minister, und in den Studierzimmern der Gelehrten (auf hohen Schulen besonders) die falsche Würde studieren. Wenn die wahre Würde zufrieden ist, den Affekt an seiner Herrschaft zu hindern, und dem Naturtriebe blos da, wo er den Meister spielen will, in den unwillkürlichen Bewegungen Schranken setzt, so regiert die falsche Würde auch die willkürlichen mit einem eisernen Zepter, unterdrückt die moralischen Bewegungen, die der wahren Würde heilig sind, so gut als die sinnlichen, und löscht das ganze mimische Spiel der Seele in den Gesichtszügen aus. Sie ist nicht blos streng gegen die widerstrebende, sondern hart gegen die unterwürfige Natur, und sucht ihre lächerliche Größe in Unterjochung, und wo dies nicht angehen will, in Verbergung derselben. Nicht anders, als wenn sie Allem, was Natur heißt, einen unversöhnlichen Haß gelobt hätte, steckt sie den Leib in lange faltige Gewänder, die den ganzen Gliederbau des Menschen verbergen, beschränkt den Gebrauch der Glieder durch einen lästigen Apparat unnützer Zierrath und schneidet sogar die Haare ab, um das Geschenk der Natur durch ein Machwerk der Kunst zu ersetzen. Wenn die wahre Würde, die sich nie der Natur, nur der rohen Natur schämt, auch da, wo sie an sich hält, noch stets frey und offen bleibt; wenn in den Augen Empfindung strahlt, und der heitere stille Geist auf der beredten Stirn ruht, so legt die Gravität die ihrige in Falten, wird verschlossen und mysteriös, und bewacht sorgfältig wie ein Komödiant ihre Züge. Alle ihre Gesichtsmuskeln sind angespannt, aller wahre natürliche Ausdruck verschwindet, und der ganze Mensch ist wie ein versiegelter Brief. Aber die falsche Würde hat nicht immer Unrecht, das mimische Spiel ihrer Züge in scharfer Zucht zu halten, weil es vielleicht mehr aussagen könnte, als man laut machen will, eine Vorsicht, welche die wahre Würde freylich nicht nötig hat. Diese wird die Natur nur beherrschen, nie verbergen; bey der falschen hingegen herrscht die Natur nur desto gewaltthätiger innen, indem sie außen bezwungen ist.
Friedrich von Schiller, 1818  

Tabula Rasa

Samstag, 29. Januar 2011

Gustave Courbet

I am fifty years old and I have always lived in freedom; let me end my life free; when I am dead let this be said of me: 'He belonged to no school, to no church, to no institution, to no academy, least of all to any regime except the regime of liberty.

Freitag, 28. Januar 2011

Kapitalistischer Realismus


                                Ereignisse sind Waffen zur Politisierung der Kunst.

                                Wolf Vostell

Donnerstag, 27. Januar 2011

Videogramme einer Revolution - Harun Farocki

Vor dem Eingang zur Hölle

Verlassen sind wir doch wie verirrte Kinder im Walde. Wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst, was weißt Du von den Schmerzen, die in mir sind und was weiß ich von den Deinen. Und wenn ich mich vor Dir niederwerfen würde und weinen und erzählen, was wüßtest Du von mir mehr als von der Hölle, wenn Dir jemand erzählt, sie ist heiß und fürchterlich. Schon darum sollten wir Menschen vor einander so ehrfürchtig, so nachdenklich, so liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle...

Kafka

Freitag, 21. Januar 2011

Die Größe des Menschen wurzelt im Irrationalen

Arnheim schloß die Augen und dachte nach. "Ich selbst spiele nie Billard," sagte er dann "aber ich weiß, daß man den Ball hoch oder tief, rechts oder links nehmen kann; man kann den zweiten Ball voll treffen oder streifen; man kann stark oder schwach stoßen; die 'Fälsche' stärker oder schwächer wählen; und sicher gibt es noch viele solcher Möglichkeiten. Ich kann mir nun jedes dieser Elemente beliebig abgestuft denken, so gibt es also nahezu unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten. Wollte ich sie theoretisch ermitteln, so müßte ich außer den Gesetzen der Mathematik und der Mechanik starrer Körper auch die der Elastizitätslehre berücksichtigen; ich müßte die Koeffizienten des Materials kennen; den Temperatureinfluß; ich müßte die feinsten Maßmethoden für die Koordination und Abstufung meiner motorischen Impulse besitzen; meine Distanzschätzung müßte genau wie ein Nonius sein; mein kombinatorisches Vermögen schneller und sicherer als ein Rechenschieber; zu schweigen von der Fehlerrechnung, der Streuungsbreite und dem Umstand, daß das zu erreichende Ziel der richtigen Koinzidenz der beiden Bälle selbst kein eindeutiges ist, sondern eine um einen Mittelwert gelagerte Gruppe von eben noch genügenden Tatbeständen darstellt."
Arnheim sprach langsam und zur Aufmerksamkeit zwingend, wie wenn aus einem Tropffläschen etwas in ein Glas gegossen wird; er erließ seinem Gegenüber nicht eine einzige Einzelheit.
"Sie sehen also wohl," fuhr er fort "daß ich lauter Eigenschaften haben und Dinge tun müßte, die ich unmöglich haben und tun kann. Sie sind sicher Mathematikers genug, um beurteilen zu können, welche lebenslängliche Aufgabe es wäre, wenn man auf diese Weise auch nur den Verlauf eines einfachen Karambolstoßes berechnen wollte; der Verstand läßt uns einfach im Stich! Trotzdem trete ich, mit einer Zigarette im Munde, einer Melodie im Sinn, sozusagen den Hut auf dem Kopf, an das Brett heran, gebe mir kaum die Mühe, die Situation zu betrachten, stoße zu und löse die Aufgabe! Herr General, das gleiche geschieht im Leben unzähligemal! Sie sind nicht nur Österreicher, sondern auch Offizier, Sie müssen mich verstehen: Politik, Ehre, Krieg, Kunst, die entscheidenden Vorgänge des Lebens vollziehen sich jenseits des Verstandes. Die Größe des Menschen wurzelt im Irrationalen.

Robert Musil, Mann ohne Eigenschaften, Kapitel 114, Seite 570

Moosbrugger

So saß er als die wilde, eingesperrte Möglichkeit einer gefürchteten Handlung wie eine unbewohnte Koralleninsel inmitten eines unendlichen Meeres von Abhandlungen, das ihn unsichtbar umgab.

Robert Musil

Patches - Clarence Carter

I'm just a prisoner - Candi Staton

Montag, 17. Januar 2011

Für Marcel Proust.

Der Sohn wohlhabender Eltern, der, gleichgültig ob aus Talent oder Schwäche, einen sogenannten intellektuellen Beruf, als Künstler oder Gelehrter, ergreift, hat es unter denen, die den degoutanten Namen des Kollegen tragen, besonders schwer. Nicht bloß, daß ihm die Unabhängigkeit geneidet wird, daß man dem Ernst seiner Absicht mißtraut und in ihm einen heimlichen Abgesandten der etablierten Mächte vermutet. Solches Mißtrauen zeugt zwar von Ressentiment, würde aber meist seine Bestätigung finden. Jedoch die eigentlichen Widerstände liegen anderswo. Die Beschäftigung mit geistigen Dingen ist mittlerweile selber »praktisch«, zu einem Geschäft mit strenger Arbeitsteilung, mit Branchen und numerus clausus geworden. Der materiell Unabhängige, der sie aus Widerwillen gegen die Schmach des Geldverdienens wählt, wird nicht geneigt sein, das anzuerkennen.
Dafür wird er bestraft. Er ist kein »professional«, rangiert in der Hierarchie der Konkurrenten als Dilettant, gleichgültig wieviel er sachlich versteht, und muß, wenn er Karriere machen will, den stursten Fachmann an entschlossener Borniertheit womöglich noch übertrumpfen. Die Suspension der Arbeitsteilung, zu der es ihn treibt, und die in einigen Grenzen seine ökonomische Lage zu verwirklichen ihn befähigt, gilt als besonders anrüchig: sie verrät die Abneigung, den von der Gesellschaft anbefohlenen Betrieb zu sanktionieren, und die auftrumpfende Kompetenz läßt solche Idiosynkrasien nicht zu. Die Departementalisierung des Geistes ist ein Mittel, diesen dort abzuschaffen, wo er nicht ex officio, im Auftrag betrieben wird. Es tut seine Dienste um so zuverlässiger, als stets derjenige, der die Arbeitsteilung kündigt - wäre es auch nur, indem seine Arbeit ihm Lust bereitet -, nach deren eigenem Maß Blößen sich gibt, die von den Momenten seiner Überlegenheit untrennbar sind. So ist für die Ordnung gesorgt: die einen müssen mitmachen, weil sie sonst nicht leben können, und die sonst leben könnten, werden draußen gehalten, weil sie nicht mitmachen wollen. Es ist, als rächte sich die Klasse, von der die unabhängigen Intellektuellen desertiert sind, indem zwangshaft ihre Forderungen dort sich durchsetzen, wo der Deserteur Zuflucht sucht.

Adorno, Minima Moralia

Hasen

Was wäre Glück, das sich nicht mäße an der unmeßbaren Trauer dessen was ist? Denn verstört ist der Weltlauf. Wer ihm vorsichtig sich anpaßt, macht eben damit sich zum Teilhaber des Wahnsinns, während erst der Exzentrische standhielte und dem Aberwitz Einhalt geböte. Nur er dürfte auf den Schein des Unheils, 'die Unwirklichkeit der Verzweiflung', sich besinnen und dessen innewerden, nicht bloß, daß er noch lebt, sondern daß noch Leben ist. Die List der ohnmächtigen Hasen erlöst mit ihnen selbst den Jäger, dem sie seine Schuld stibitzt.

Adorno

Sonntag, 16. Januar 2011

Aus 'Reise ans Ende der Nacht'

Man muss Claude Lorrain eben glauben, der Vordergrund eines Bildes ist immer abstoßend, die wahre Kunst liegt darin, das Wesentliche eines Werkes in die Ferne zu rücken, ins Ungreifbare, dorthin, wo die Lüge Zuflucht sucht, jener von den Tatsachen abgemalte Traum, die einzige Liebe der Menschen.

Louis-Ferdinand Céline

Samstag, 15. Januar 2011

Donnerstag, 13. Januar 2011

Die letzte Wollust

Wo sollte der nahe Tod sein Signal geben, wenn nicht dort, wo das Leben sitzt, im Geschlecht? Man hat bei Hingerichteten den letzten Vollzug der Wollust festgestellt. Aber neige dich über ein Treppengeländer, und du wirst die Stelle spüren, wo du sterblich bist. Nicht immer muß ein Weib der Abgrund sein, damit sich Gefahrlust melde, wie sie in fremdem Bett genossen wird. Wenn man dazu bedenkt, daß dort, wo der Tod steht, immer auch der Geist steht und daß es eine Spannung gibt vor dem Schlusspunkt, sei es des Lebens oder des Werkes, das Herzklopfen vor aller Vollendung, sei es in der Arbeit am Wort, an der Schwelle der Unabänderlichkeit, und sei es auch nur im Wettlauf von Schularbeit und Schulstunde oder im Streben an einer Kletterstange empor, wo Lust die Mühe lohnt, die ihr entgleitet - bedenkt man dies, so denke man, wie wenig es mit dem Weib zu schaffen hat, und lerne die Lust, die vom Weib nicht abhängt, nicht geringer achten. Das Weib ist unbequem, Vorstellung des Weibes ist nur bequeme Vorstellung des Unbequemen. Darf man so wenig Phantasie haben, um der Vorstellung des Weibes zu seinem Glück zu bedürfen? Der Geist hat tiefere Wollust, als der Körper beziehen könnte. Irgendwie lebt er davon. daß Wollust die Mitgift des Weibes ist. Er muß es erlebt haben. Und empfängt etwas von jener durchwaltenden Seligkeit weiblichen Empfindens, welche die arme Pointe männlicher Lust beschämt. Der Zerknirschung am Ziel entweicht er zu den Wonnen des Weges. Jede Hemmung erhitzt ihn, und keinen Anteil an diesen Gluten hat selbst das Weib, das sie kühlen wird. Eine macht sich unerreichbar, um einen zu erreichen. Aber sie weiß nicht, daß sie es nicht heute ihrer Anwesenheit, sondern gestern ihrer Abwesenheit zu danken hat. Schließlich steigt Phantasie vier Treppen hoch, um das Weib nicht zu finden, und bis zum Himmel, ohne es zu suchen. Sie hat sich des Stoffs begeben. Aber sie hat die Form, in der der Gedanke wird und mit ihm die Lust. Sie ahnt, was keiner zu wissen vermag. Sie hat sich an der Wollust gebildet und konnte von da an, durch immer neue Erlebniskreise zu immer neuen Potenzen dringend, nie versagen, wenn ungeistige Begierde längst versagt hätte. Nun bedarf sie des Anlasses nicht mehr und läßt sich an sich selbst, und genießt sich im Taumel der Assoziationen, hier einer Metapher nachjagend, die eben um die Ecke bog, dort Worte kuppelnd, Phrasen pervertierend, in Ähnlichkeiten vergafft, im seligen Mißbrauch chiastischer Verschlingung, immer auf Abenteuer aus, in Lust und Qual, zu vollenden, ungeduldig und zaudernd, immer auf zwei Wegen zum Glück, bis sie vor dem Abgrund, wo die Maschine lauert und das Unabänderliche beschlossen liegt, in Angst vergeht und an einem Hingerichteten die letzte Wollust vollzogen ist.

Karl Kraus

Der Horror vor dem Vacuum

Alles was geschieht, geschieht für die, die es beschreiben, und für die, die es nicht erleben. Ein Spion, der zum Galgen geführt wird, muß einen längeren Weg gehen, damit die im Kino Abwechslung haben, und muß noch einmal in den photographischen Apparat starren, damit die im Kino mit dem Gesichtsausdruck zufrieden sind. Schweigen wir. Beschreiben wir es nicht, die es erlebten. Es ist ein dunkler Gedankengang zum Galgen der Menschheit, ich wollte ihn als ihr sterbender Spion nicht mitmachen. Und muß, und zeige ihr mein Gesicht! Denn mein herzbeklemmendes Erlebnis ist der horror vor dem vacuum, das diese unbeschreibliche Ereignisfülle in den Gemütern, in den Apparaten vorfindet.

Karl Kraus

Mittwoch, 12. Januar 2011

Montag, 10. Januar 2011

Sonntag, 9. Januar 2011

Der Schatz im Finstern

Sobald wir etwas aussprechen, entwerten wir es seltsam. Wir glauben in die Tiefe der Abgründe hinabgetaucht zu sein, und wenn wir wieder an die Oberfläche kommen, gleicht der Wassertropfen an unseren bleichen Fingerspitzen nicht mehr dem Meere, dem er entstammt. Wir wähnen eine Schatzgrube wunderbarer Schätze entdeckt zu haben, und wenn wir wieder ans Tageslicht kommen, haben wir nur falsche Steine und Glasscherben mitgebracht; und trotzdem schimmert der Schatz im Finstern unverändert.

Maeterlinck

Freitag, 7. Januar 2011

Spoon - They Never Got You

Der Gedanke

Daß die Wahrheit einer Theorie dasselbe sei wie ihre Fruchtbarkeit, ist freilich ein Irrtum. Manche Menschen scheinen jedoch das Gegenteil davon anzunehmen. Sie meinen, Theorie habe so wenig nötig im Denken Anwendung zu finden, daß sie es vielmehr überhaupt ersparen soll. Sie mißverstehen jede Äußerung im Sinn eines letzten Bekenntnisses, Gebots oder Tabus. Sie wollen  sich der Idee unterwerfen wie einem Gott, oder sie attakieren sie wie einen Götzen. Es fehlt ihnen ihr Gegenüber an Freiheit. Aber es gehört gerade zur Wahrheit, daß man selbst als tätiges Subjekt dabei ist. Es mag einer Sätze hören, die an sich wahr sind, er erfährt ihre Wahrheit nur, indem er dabei denkt und weiter denkt.
Heutzutage drückt jener Fetischismus sich drastisch aus. Man wird für den Gedanken zur Rechenschaft gezogen, als sei er die Praxis unmittelbar. Nicht bloß das Wort, das die Macht treffen will, sondern auch das Wort, das tastend, experimentierend, mit der Möglichkeit des Irrtums spielend, sich bewegt, ist allein deshalb intolerabel. Aber: unfertig sein und es zu wissen, ist der Zug auch jenes Denkens noch und gerade jenes Denkens, mit dem es sich zu sterben lohnt. Der Satz, daß die Wahrheit das Ganze sei, erweist sich als dasselbe wie sein Gegensatz, daß sie jeweils nur als Teil existiert. Die erbärmlichste Entschuldigung, die Intellektuelle für Henker gefunden haben - und sie sind im letzten Jahrzehnt darin nicht müßig gewesen -, die erbärmlichste Entschuldigung ist die, daß der Gedanke des Opfers, für den es ermordet wird, ein Fehler gewesen sei.

Adorno, Dialektik der Aufklärung- Aufzeichungen und Entwürfe

Isolierung durch Verkehr

Daß das Verkehrsmittel isoliert gilt nicht bloß im geistigen Bezirk. Nicht bloß setzt sich die verlogene Sprache des Ansagers im Radio als Bild der Sprache im Gehirn fest und hindert die Menschen, zueinander zu sprechen, nicht bloß übertönt die Anpreisung von Pepsi-Cola die der Niederlegung von Kontinenten, nicht bloß steht das gespenstische Modell der Kinohelden vor der Umarmung der Halbwüchsigen und noch des Ehebruchs. Der Fortschritt hält die Menschen buchstäblich auseinander. Der kleine Schalter am Bahnhof oder auf der Bank machte es dem Angestellten möglich, mit dem Kollegen zu tuscheln und das karge Geheimnis mit ihm zu teilen; die Glasfenster moderner Büros, die Riesensäle, in denen zahllose Angestellte gemeinsam Platz finden und vom Publikum wie von den Managern leicht zu überwachen sind, gestatten keine Privatunterhaltungen und Idyllen mehr. Auch auf Ämtern ist der Steuerzahler nun vor Zeitvergeudung der Besoldeten geschützt. Sie sind im Kollektiv isoliert. Aber das Verkehrsmittel trennt die Menschen auch physisch. Die Eisenbahn wurde durch Autos abgelöst. Durch den eigenen Wagen werden Reisebekanntschaften auf halb-bedrohliche hitchhikers reduziert. Die Menschen reisen streng voneinander isoliert auf Gummireifen. Dafür wird in jedem Einfamilienwagen nur gesprochen, was im anderen erörtert wird; das Gespräch in der Einfamilie ist durch praktische Interessen reguliert. Wie jede Familie mit einem bestimmten Einkommen denselben Prozentsatz auf Wohnung, Kino, Zigaretten wendet, ganz wie Statistik es vorschreibt, so sind die Themen je nach den Wagenklassen schematisiert. Wenn sie an Sonntagen oder auf Reisen in den Gasthöfen zusammentreffen, deren Menus und Räume auf entsprechenden Preisniveaus miteinander identisch sind, so finden die Besucher, daß sie mit zunehmender Isolierung einander immer ähnlicher geworden sind. Die Kommunikation besorgt die Angleichung der Menschen durch ihre Vereinzelung.

Adorno, Dialektik der Aufklärung- Aufzeichungen und Entwürfe