Mittwoch, 14. Dezember 2011

Oh Dämonischer Wahnsinn

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Und es entspricht doch wirklich nicht so ganz der Wahrheit, wenn da geredet wird: „Es ist selbstverständlich, dass sich ein Leidender sehr gern helfen lassen will, wenn ihm nur jemand helfen kann“ – das ist durchaus nicht so, auch wenn das Gegenteil nicht immer so verzweifelt ist wie hier. Die Sache ist die: Ein Leidender wünscht sich eine oder mehrere Arten, wie ihm geholfen werden könnte. Wenn ihm so geholfen werden wird, ja, dann lässt er sich gern helfen. Doch wenn es im tieferen Sinn Ernst mit dem Angebot der Hilfe wird, insbesondere wenn es dann von einem Höheren oder dem Höchsten kommt – diese Demütigung, dass man die Hilfe unbedingt und in jeder Art annehmen muss, dass man in der Hand des „Helfers“, für den alles möglich ist, gleichsam ein Nichts wird, oder nur, dass man sich einem anderen Menschen beugen muss, dass man, solange man Hilfe sucht, aufgeben muss, man selbst zu sein – oh, das ist gewiss ein großes, auch langwieriges und qualvolles Leiden, in dem das Selbst dennoch nicht so sehr vor Schmerzen stöhnt und das es daher, unter Wahrung dessen, es selbst zu sein, im Grunde vorzieht.
Doch je mehr Bewusstsein in einem solchen Leidenden ist, der verzweifelt er selbst sein will, umso mehr potenziert sich auch die Verzweiflung und wird das Dämonische. Dessen Ursprung ist häufig der: Ein Selbst, das verzweifelt es selbst sein will, stöhnt in dieser oder jener quälenden Beschwerlichkeit, die sich nun einmal nicht wegnehmen oder von seinem konkreten Selbst abtrennen lässt. Gerade auf diese Qual wirft er dann seine ganze Leidenschaft, die schließlich ein dämonisches Rasen wird. Wäre es nun so, dass Gott im Himmel und alle Engel ihm Hilfe dagegen anböten – nein, jetzt will er nicht, jetzt ist es zu spät, einmal hätte er gern alles dafür gegeben, um diese Qual loszuwerden, da ließ man ihn warten, jetzt ist die Zeit vorbei, jetzt will er lieber gegen alles rasen, will der von aller Welt, vom Dasein Benachteiligte sein, dem es gerade von Wichtigkeit ist, darauf zu achten, dass er seine Qual bei der Hand hat, dass niemand sie von ihm nimmt – denn sonst kann er doch nicht bezeugen und sich selbst davon überzeugen, dass er Recht hat. Das setzt sich am Ende in seinem Kopf so fest, dass er sich aus einem ganz eigenen Grund vor der Ewigkeit fürchtet – weil diese ihm nämlich seinen, dämonisch verstanden, unendlichen Vorzug vor anderen Menschen, seine, dämonisch verstanden, Berechtigung, der zu sein, der er ist, wegnehmen könnte. – Er selbst will er sein; angefangen hat er mit der unendlichen Abstraktion vom Selbst, jetzt ist er schließlich so konkret geworden, dass es ein Unmöglichkeit wäre, in diesem Sinn ewig zu werden, und doch will er verzweifelt er selbst sein. Oh, dämonischer Wahnsinn, er rast am heftigsten bei dem Gedanken daran, dass es der Ewigkeit einfallen könnte, ihm sein Elend wegzunehmen.
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Søren Kierkegaard, Die Krankheit zum Tode

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