Donnerstag, 3. November 2011

Ein Wort zum Schicksal Monsieur d'Aiglemonts in der Epoche der Restauration

von Honoré de Balzac

(...) Trifft man nicht auf viele Menschen, die es verstehen, ihre unsagbare Hohlheit vor den meisten Leuten, die sie kennen, zu verheimlichen? Ein hoher Rang, vornehme Abstammung, eine wichtige Stellung, der Firnis höflicher Geschliffenheit, betont reserviertes Auftreten oder der Glanz des Vermögens sind für sie wie Schutzmauern, welche die Kritiker daran hindern, in ihr innerstes Dasein einzudringen. Diese Leute gleichen den Königen, von deren wirklichem Körpermaß, Charakter und Sitten wir niemals eine gute Kenntnis besitzen und über die wir kein ausgewogenes Urteil fällen können, weil der Betrachter zu nah oder zu fern steht. Diese Persönlichkeiten ohne echtes Verdienst fragen aus, anstatt zu sprechen, sie beherrschen die Kunst, andere in Szene zu setzen, um nicht selbst vor ihnen posieren zu müssen. Mit Geschick und Erfolg ziehen sie dann einen jeden am Faden seiner Leidenschaften oder Interessen und treiben so ihr Spiel mit Menschen, die ihnen eigentlich überlegen sind; sie machen Marionetten aus ihnen und halten sie für kleine Geister, weil sie sie auf ihr Niveau haben herabziehen können. So triumphiert denn ihr armseliges, aber beharrliches Denken naturgemäß über die Mobilität großer Gedanken. Um diese leeren Köpfe richtig beurteilen und ihre negativen Qualitäten abschätzen zu können, muß der Beobachter mehr Feingefühl als Geistesschärfe, mehr Geduld als Weitsicht, mehr Subtilität und Takt als gedankliche Größe und Erhabenheit besitzen. Mit welcher Gewandtheit sie auch ihre schwachen Seiten zu verbergen suchen, so fällt es diesen Blendern dennoch schwer, ihre Frauen, ihre Mütter, ihre Kinder oder den Freund des Hauses zu täuschen; diese Personen aber hüten fast immer das Geheimnis, das gewissermaßen an die gemeinsame Ehre rührt; oft unterstützen sie sie gar in ihrem Bestreben, der Welt zu imponieren. Wenn dank dieses häuslichen Zusammenhalts so mancher Tropf für einen überlegenen Geist gehalten, gibt es anderseits ebenso viele überlegene Geister, die man als Tröpfe ansieht, so dass in der Gesellschaft die Tüchtigkeit stets im selben Umfang sichtbar ist. Nun bedenke man die Rolle, die eine Frau von Verstand und Gefühl angesichts eines solchen Ehemannes zu spielen hat, und stelle sich die schmerzensreichen, hingebungsvollen Existenzen vor, denen nichts die zarte Liebesfülle ihres Herzens vergelten kann. Gerät eine starke Frau in diese furchtbare Lage, so vermag sie sich nur durch ein Verbrechen daraus zu lösen, wie Katharina II. es tat, die dennoch „die Große“ heißt. Da aber nicht alle Frauen auf einem Thron sitzen, unterwerfen sie sich meistens der häuslichen Misere, die dadurch, daß sie im verborgenen liegt, nicht weniger schrecklich ist. Jene, die sich hienieden über ihr Unglück schnell hinwegtrösten wollen, bereiten sich oft nur andere Qualen, wenn sie gleichzeitig bestrebt sind, ihren Pflichten zu genügen, oder sie laden Schuld auf sich, falls sie die Gesetze brechen, um ihrem Vergnügen frönen zu können. Diese Überlegungen lassen sich alle auf Julies verborgene Lebensgeschichte anwenden. (…)

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