Dienstag, 8. November 2011

durch jeden Streich und jeden Schlich

– Daher also ist, in allen Ländern, die Hauptbeschäftigung aller Gesellschaft das Kartenspiel geworden: es ist der Maaßstab des Werthes derselben und der deklarirte Bankrott an allen Gedanken. Weil sie nämlich keine Gedanken auszutauschen haben, tauschen sie Karten aus und suchen einander Gulden abzunehmen. O, klägliches Geschlecht! Um indessen auch hier nicht ungerecht zu seyn, will ich den Gedanken nicht unterdrücken, daß man zur Entschuldigung des Kartenspiels allenfalls anführen könnte, es sei eine Vorübung zum Welt- und Geschäftsleben, sofern man dadurch lernt, die vom Zufall unabänderlich gegebenen Umstände (Karten) klug zu benutzen, um daraus was immer angeht zu machen, zu welchem Zwecke man sich denn auch gewöhnt, Contenance zu halten, in dem man zum schlechten Spiel eine heitere Miene aufsetzt. Aber eben deshalb hat andererseits das Kartenspiel einen demoralisierenden Einfluß. Der Geist des Spiels nämlich ist, daß man auf alle Weise, durch jeden Streich und jeden Schlich, dem Andern das Seinige abgewinne. Aber die Gewohnheit im Spiel so zu verfahren wurzelt ein, greift über in das praktische Leben, und man kommt allmählig dahin, in den Angelegenheiten des Mein und Dein es eben so zu machen und jeden Vorteil, den man eben in der Hand hält, für erlaubt zu halten, sobald man nur es gesetzlich darf. Belege hiezu giebt ja das bürgerliche Leben täglich.

Schopenhauer

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