Montag, 5. September 2011

doch geistlos triumphiert die Spießbürgerlichkeit

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Etwas anders verhält es sich mit Spießbürgerlichkeit, Trivialität, der es auch wesentlich an Möglichkeit fehlt. Spießbürgerlichkeit ist Geistlosigkeit, während Determinismus und Fatalismus Geistesverzweiflung sind; doch auch Geistlosigkeit ist Verzweiflung. Spießbürgerlichkeit hat keinerlei Bestimmung von Geist und geht im Wahrscheinlichen auf, in dem dann das Mögliche sein bisschen Platz findet; ihr fehlt also die Möglichkeit, um aufmerksam auf Gott zu werden. Phantasielos, wie der Spießbürger immer ist, lebt er in einem gewiss trivialen Inbegriff von Erfahrungen: wie es zugeht, was da möglich ist, was zu geschehen pflegt – er mag im übrigen Bierzapfer oder Staatsminister sein. So hat der Spießbürger sich selbst und Gott verloren. Denn damit ein Mensch auf sein Selbst und auf Gott aufmerksam werde, muss ihn die Phantasie höher und über den Dunstkreis des Wahrscheinlichen tragen, sie muss ihn aus diesem herausreißen und ihn lehren, indem sie möglich macht, was das quantum satis jeglicher Erfahrung überschreitet, zu hoffen und zu fürchten oder zu fürchten und zu hoffen. Doch der Spießbürger hat keine Phantasie, will sie nicht haben, verabscheut sie. Hier gibt es also keine Hilfe. Und wenn dann das Dasein manchmal mit Schrecknissen hilft, welche die Papageien-Weisheit der trivialen Erfahrung überschreiten, dann verzweifelt die Spießbürgerlichkeit, das heißt, dann wird offenbar, dass sie Verzweiflung war; nun fehlt ihr die Möglichkeit des Glaubens, um durch Gott ein Selbst vor dem sicheren Untergang zu erretten.
Dagegen haben Fatalismus und Determinismus Phantasie genug, um an der Möglichkeit zu verzweifeln, und Möglichkeit genug, um die Unmöglichkeit zu entdecken; die Spießbürgerlichkeit beruhigt sich im Trivialen, ob es nun gut oder schief geht, gleich verzweifelt. Fatalismus und Determinismus fehlt es an Möglichkeit, um die Notwendigkeit zu entspannen und zu mildern, zu temperieren, also an Möglichkeit zur Milderung; der Spießbürgerlichkeit fehlt es an Möglichkeit als Erweckung aus der Geistlosigkeit. Denn die Spießbürgerlichkeit glaubt, sie würde über die Möglichkeit herrschen, sie hätte diese ungeheure Elastizität in die Falle oder Irrenanstalt des Wahrscheinlichen gelockt, glaubt, sie gefangen zu halten; sie führt die Möglichkeit eingesperrt im Käfig der Wahrscheinlichkeit herum, zeigt sie vor, bildet sich selber ein, der Herr zu sein, merkt nicht, dass sie gerade dadurch sich selbst gefangen hat und Sklave der Geistlosigkeit und das Erbärmlichste von allem geworden ist. Denn mit der Kühnheit der Verzweiflung schwingt sich auf, wer sich in der Möglichkeit verlief; zerknirscht in Verzweiflung verhebt sich am Dasein, wem alles zur Notwendigkeit wurde – doch geistlos triumphiert die Spießbürgerlichkeit.

Kierkegaard

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