Freitag, 26. August 2011

Oh, wenn ich doch nur aus Faulheit untätig wäre

Oh, wenn ich doch nur aus Faulheit untätig wäre. Herrgott, wie würde ich mich dann achten. Ich würde mich gerade deswegen achten, weil ich dann doch fähig wäre, wenigstens faul zu sein; dann besäße ich wenigstens eine gewissermaßen positive Eigenschaft, von der ich dann auch selbst überzeugt sein könnte. Frage: Wer ist das? Antwort: ein Faulpelz; aber ich bitte Sie, das hört sich doch äußerst angenehm an, das heißt, man ist definitiv bestimmt, das heißt, es gibt etwas, was sich über mich sagen läßt. „Ein Faulpelz!“ – aber das ist doch Titel und Bestimmung, das ist doch eine Karriere, meine Herrschaften. Scherz beiseite, so ist es! Dann bin ich rechtmäßiges Mitglied eines renommierten Vereins und achte mich unablässig. Ich kannte einen Herrn, der sein Leben lang stolz darauf war, sich auf Lafitte-Weine zu verstehen. Er hielt das für einen ausgesprochenen Vorzug und zweifelte nie an sich selbst. Er starb nicht nur mit ruhigem, sondern mit einem triumphierenden Gewissen und war damit vollkommen im Recht. Dann hätte ich auch Karriere gemacht, ich wäre ein Faulpelz und Vielfraß, doch beileibe kein gewöhnlicher, sondern einer mit Sinn für das Schöne und Erhabene. Was halten Sie davon? Ich träumte schon lange davon. Dieses ‚Schöne und Erhabene’ hat mir doch vierzig Jahre lang schwer im Magen gelegen; das sage ich jetzt, mit meinen vierzig Jahren, damals aber – oh, damals wäre alles ganz anders geworden! Damals hätte ich sofort eine entsprechende Tätigkeit gefunden – und zwar: auf das Wohl alles Schönen und Erhabenen zu trinken. Ich hätte jede Gelegenheit ergriffen, zuerst eine Träne in mein Glas fallen zu lassen und es dann auf das Wohl des Schönen und Erhabenen zu leeren. Alles auf der Welt würde ich dann in Schönes und Erhabenes verwandelt und noch im ekelhaftesten, unzweifelthaften Dreck Schönes und Erhabenes gefunden haben. Ich hätte die Gabe erlangt, Tränen zu vergießen wie ein nasser Schwamm. Der Maler Gay zum Beispiel malt ein Bild – sofort trinke ich auf die Gesundheit des Künstlers Gay, der das Bild gemalt hat, denn ich liebe alles Schöne und Erhabene. Ein Schriftsteller schreibt „wie es euch gefällt“; sofort trinke ich auf das Wohl dessen, „was euch gefällt“, denn ich liebe das Schöne und Erhabene. Achtung würde ich deshalb für mich heischen und jeden verfolgen, der mir nicht Achtung zollt. Ich lebe ruhig, ich sterbe feierlich – das ist ja reizend, wirklich reizend! Und was für einen Schmerbauch hätte ich mir zugelegt, welch dreifaches Doppelkinn! Über eine Schnapsnase würde ich verfügen, bei deren Anblick jeder ausrufen müsste: „Das ist aber ein Plus! Das ist mal wirklich was Positives!“ Sagen Sie, was Sie wollen, meine Herrschaften, aber solche Äußerungen klingen doch in unserem negativen Zeitalter außerordentlich angenehm.

Fjodor Dostojewskij, Auszug aus Aufzeichnungen aus dem Kellerloch

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