Donnerstag, 21. Juli 2011

Alles, was in der Welt verbunden ist, trennt uns jetzt.


Alles, was in der Welt verbunden ist, trennt uns jetzt. Wir könnten uns von nun an nicht mehr ohne Unordnung begegnen, und in der Unordnung sollten wir uns nicht mehr begegnen. Was Dich an mich bindet und mich an Dich, ist von nun an bis zum Unerträglichen verbunden, und wir sind getrennt durch die Tiefe dessen, das uns verbindet. Was könnte ich tun? Dich verletzen, Dich vernichten. Doch schweigend resignieren will ich nicht. Ich werde Dich zerreißen, aber ich werde sprechen. Denn ich habe Dich aus meinem Herzen hervorgezogen, und wenn ich eines Tages das Licht erblicke, so weil ich Dir von dem Delirium erzählte, in dem ich Dich empfangen habe, doch wie könnte ich mein Herz und Dich von meiner Lust unterscheiden, von meiner Lust, von Deiner Lust, von dem, was Réa uns, so gut sie es vermochte, geschenkt hat? Ich spreche davon: ich weiß, es sollte mich, da es geschehen ist, zum Schweigen verpflichten. Aber wenn ich von meinem Herzen spreche, von diesem Kinderherzen, aus dem ich Dich hervorgezogen habe, aus dem ich unaufhörlich das Band des Blutes ziehe, das bewirkt, daß mein Schmerz mich an Deiner Seite stöhnen läßt, daß Dein Schmerz Dich an meiner Seite stöhnen läßt, so spreche ich nicht nur von Schmerz und Stöhnen, sondern von dem heiteren Delirium, das uns trug, als wir Hand in Hand einander anschauten. Denn unsere Qual war ebenso die überschäumende Lust – das, was Réa sehr niedrig einstufte, so niedrig, wie es nun einmal sein mußte. Réa hat mich nicht wahrhaft liebkost: ich habe mich in Deinem Beisein an sie gepreßt und mich gewunden und irre geredet, so wie ich in Deiner Abwesenheit – mich gewunden und irre geredet habe, als ich Dich empfing. Ich kann nicht mehr schweigen, und gegen meinen Willen bringt mich das, was immer noch in mir stöhnt, was immer noch in mir tobt, zum Reden. Ich hätte Dich nicht noch einmal sehen können. Was wir getan haben, können wir nicht noch einmal tun, und doch würde ich bei Deinem Anblick nur darauf sinnen, es wieder und wieder zu tun. Und während ich Dir schreibe, weiß ich, daß ich mit Dir nicht reden darf, doch nichts könnte mich hindern zu reden. Ich verlasse Paris, ich gehe fort, so weit fort wie möglich, aber überall werde ich demselben Wahnsinn anheimfallen, fern von Dir wie an Deiner Seite, denn die Lust in mir wartet auf niemanden, sie strömt aus mir hervor, aus meiner Zerrissenheit, die unaufhörlich an meinen Nerven zerrt . Du siehst es handelt sich nicht um Dich. Ich kann auch ohne Dich leben, und ich will Dich fernhalten von mir, doch wenn es um Dich geht, dann will ich in jenem Delirium sein, dann will ich, daß Du es siehst, will, daß es Dich zerstört. Während ich Dir schreibe, habe ich mich in dieses Delirium hineingesteigert, mein ganzes Sein ist in sich selbst verkrampf, mein Schmerz schreit in mir, er reißt mich aus mir heraus, so wie ich Dich aus mir herausgerissen habe, als ich Dich gebar. Und wenn ich mich in meiner Schamlosigkeit winde, bin ich nur noch ein Schrei, der mehr Haß als Liebe ist. Ich krümme mich vor Angst, und ich krümme mich vor Wollust. Aber das ist nicht Liebe, ich habe nur Wut. Meine Wut hat Dich zur Welt gebracht, diese zum Schweigen niedergezwungene Wut, deren Schrei Du dennoch vernahmst, wie ich gestern, als ich Dich ansah, begriff. Ich liebe Dich nicht, ich bleibe allein, aber diesen verlorenen Schrei, den Du vernimmst, wirst Du unaufhörlich vernehmen, er wird nicht aufhören, Dich zu häuten, und ich, ich werde bis an meinen Tod in diesem Zustand weiterleben. Ich werde leben in der Erwartung jener anderen Welt, in der ich in der höchsten Lust verharre. Ich gehöre ganz und gar jener anderen Welt, und Du gehörst ihr auch. Ich will nichts wissen von dieser Welt, die von denen durchforstet wird, die geduldig darauf warten, daß der Tod sie erleuchte. Ich lebe im Atemhauch des Todes, und ich werde aufhören, für Dich zu existieren, sobald Du einen Augenblick vergißt, daß er für mich der Atem der Lust ist. (...) 

Georges Bataille

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