Dienstag, 19. April 2011

Die Sprache der Vögel



Die Sprache, wie sie vorphilosophisch die ästhetische Erfahrung beschreibt, sagt mit Grund, einer verstünde etwas von Kunst, nicht, er verstünde Kunst. Kennerschaft ist adäquates Verständnis der Sache und borniertes Unverständnis des Rätsels in eins, neutral zum Verhüllten. Wer bloß verständnisvoll in der Kunst sich bewegt, macht sie zu einem Selbstverständlichen, und das ist sie am letzten. Sucht einer dem Regenbogen ganz nahezukommen, so verschwindet dieser. Prototypisch dafür ist, vor den anderen Künsten, die Musik, ganz Rätsel und ganz evident zugleich. Es ist nicht zu lösen, nur seine Gestalt zu dechiffrieren, und eben das ist an der Philosophie der Kunst. Erst der verstünde Musik, welcher so fremd sie hörte wie ein unmusikalischer und so vertraut wie Siegfried die Sprache der Vögel. Durchs Verstehen jedoch ist der Rätselcharakter nicht ausgelöscht. Noch das glücklich interpretierte Werk möchte weiterhin verstanden werden, als wartete es auf das lösende Wort, vor dem seine konstitutive Verdunkelung zerginge. Die Imagination der Kunstwerke ist das vollkommenste und trügerischste Surrogat des Verstehens, freilich auch eine Stufe dazu.

Adorno, Ästhetische Theorie


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