Dienstag, 15. März 2011

Dialektik des Fortschritts

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Wer sich in Erinnerung an den Untergang der Titanic demütigzufrieden die Hände reibt, weil der Eisberg dem Fortschrittsgedanken den ersten Stoß versetzt habe, vergißt oder unterschlägt, daß der im übrigen keineswegs schicksalhafte Unglücksfall Maßnahmen veranlaßte, welche ungeplante Naturkatastrophen der Schiffahrt im folgenden halben Jahrhundert verhüten. Ein Stück Dialektik des Fortschritts ist, daß die geschichtlichen Rückschläge, die selbst vom Fortschrittsprinzip angezettelt werden – was wäre fortschrittlicher als der Wettstreit ums Blaue Band? –, auch die Bedingung dafür beistellen, daß die Menschheit Mittel findet, sie in Zukunft zu vermeiden. Der Verblendungszusammenhang des Fortschritts treibt über sich selbst hinaus. Vermittelt zu jener Ordnung, an der die Kategorie des Fortschritts erst ihr Recht gewönne, ist er darin, daß die Verwüstungen, die der Fortschritt anrichtet, allenfalls mit dessen eigenen Kräften wieder gutzumachen sind, niemals durch die Wiederherstellung des älteren Zustands, der sein Opfer ward.
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Adorno, Fortschritt

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