Mittwoch, 2. Februar 2011

Der Jammer über den Verlust ordnender Formen steigt an mit deren Gewalt.

Mächtiger sind die Institutionen als je; längst haben sie etwas wie den neonbelichteten Stil der Kulturindustrie hervorgebracht, der die Welt überzieht wie einst die Barockisierung. Der ungeminderte Konflikt zwischen der Subjektivität und den Formen verkehrt sich unter deren Allherrschaft dem sich als ohnmächtig erfahrenden Bewusstsein, das nicht mehr sich zutraut, die Institution und ihre geistigen Ebenbilder zu verändern, zur Identifikation mit dem Angreifer. Die beklagte Entformung der Welt, Auftakt zum Ruf nach verbindlicher Ordnung, die das Subjekt stillschweigend von außen, heteronom erwartet, ist, soweit ihre Behauptung mehr ist als bloße Ideologie, Frucht nicht der Emanzipation des Subjekts sondern von deren Misslingen. Was als das Formlose einer einzig nach subjektiver Vernunft gemodelten Verfassung des Daseins erscheint, ist, was die Subjekte unterjocht, das reine Prinzip des Füranderesseins, des Warencharakters. Um der universalen Äquivalenz und Vergleichbarkeit willen setzt es qualitative Bestimmungen allerorten herab, nivelliert tendenziell. Derselbe Warencharakter aber, vermittelte Herrschaft von Menschen über Menschen, fixiert die Subjekte in ihrer Unmündigkeit; ihre Mündigkeit und die Freiheit zum Qualitativen würden zusammengehen. Stil offenbart unterm Scheinwerfer der modernen Kunst selber seine repressiven Momente. Das von ihm verborgte Bedürfnis nach Form betrügt über deren Schlechtes, Zwangshaftes. Form, die nicht in sich selbst vermöge ihrer durchsichtigen Funktion ihr Lebensrecht beweist, sondern nur gesetzt wird, damit Form sei, ist unwahr und damit unzulänglich auch als Form.

Adorno, Negative Dialektik

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