Mittwoch, 10. August 2011

Chaim (?)

14 Jahre alt – Bauernsohn – geboren in Sedsiszow (Galizien). Wurde bei einer Razzia aufgegriffen, mit Tausenden junger Juden ins Lager Pustkow (Galizien) geschafft und hier zu unbekanntem Datum getötet.

(Der durch den Stacheldraht gesteckte Brief wurde von einem Bauern gefunden, der ihn den Eltern des Knaben zustellte.)

Meine lieben Eltern!

  Wenn der Himmel Papier und alle Meere der Welt Tinte wären, könnte ich Euch mein Leid und alles, was ich rings um mich sehe, nicht beschreiben.
  Das Lager befindet sich auf einer Lichtung. Vom frühen Morgen an treibt man uns in den Wald zur Arbeit. Meine Füße bluten, weil man mir die Schuhe weggenommen hat. Den ganzen Tag arbeiten wir, fast ohne zu essen, und nachts schlafen wir auf der Erde (auch die Mäntel hat man uns weggenommen).
  Jede Nacht kommen betrunkene Soldaten und schlagen uns mit Holzstücken, und mein Körper ist schwarz von blutunterlaufenen Flecken wie ein angekohltes Stück Holz. Bisweilen wirft man uns ein paar rohe Karotten oder eine Runkelrübe hin, und es ist eine Schande: hier prügelt man sich, um ein Stückchen oder ein Blättchen zu erwischen. Vorgestern sind zwei Buben ausgebrochen, da hat man uns in eine Reihe gestellt, und jeder Fünfte der Reihe wurde erschossen. Ich war nicht der Fünfte, aber ich weiß, daß ich nicht lebend von hier fortkomme. Ich sage allen Lebewohl, liebe Mama, lieber Papa, liebe Geschwister, und ich weine...

Letzte Briefe zum Tode Verurteilter 1939-1945

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