Donnerstag, 28. Juli 2011

Slo-Mo-High-Definition-Full-Sound-Celebrity-Defäkation


Eines steht fest: Als Erwachsener erinnert sich fast niemand mehr an Einzelheiten oder psychische Begleiterscheinungen der eigenen Reinlichkeitserziehung. Denn bis man Grund hat, nachzufragen, ist so viel Zeit vergangen, dass man schon die eigenen Eltern fragen muss. Was aber auch nicht richtig funktioniert, weil die meisten Eltern glatt bestreiten werden, sich an diese Zeit zu erinnern oder in irgendeiner Weise daran beteiligt gewesen zu sein. Die Verdrängung hat Schutzfunktion, denn das Elterndasein ist zuweilen kein Zuckerschlecken. Alle diese Phänomene sind sattsam erforscht und dokumentiert. R. Vaughn Corliss’ bestgehütete Vision, die noch aus seiner Schlussphase bei Lifestyles of the Rich and Famous mit Robin Leach und Television Program Enterprises herrührte, sein heimlicher Traum sozusagen, sich als ernst zu nehmender Kabel-Player und –Pionier neu zu erfinden: ein Kanal, der sich ausschließlich mit Bildern von scheißenden Celebrities befasste. Reese Witherspoon beim Kacken. Juliette Lewis beim Kacken. Michael Jordan beim Kacken. Dick Gephard, Fraktionsführer der Demokraten im Abgeordnetenhaus: beim Kacken. Pamela Anderson beim Kacken. George F. Will, grimmiger Kolumnist der Washington Post, komplett mit Fliege und Strichmund: beim Kacken. Die ehemalige Golf-Legende Hale Irvin: beim Kacken. Der Stone-Bassist Ron Wood beim Kacken. Papst Johannes Paul II beim Kacken. (Allerdings müssen dabei mehrere Diener sein Gewand anheben.) Die Schauspieler Leonard Maltin und Annette Bening beim Kacken. Michael Flatley, der von Lord of the Dance: beim Kacken. Die Olson-Zwillinge, egal ob Mary-Kate oder Ashley oder alle beide: beim Kacken. Und so weiter und so fort. Helen Hunt. Bob Barker von The Price Is Right. Tom Cruise. Die Fernsehmoderatorin Jane Pauley. Talia Shire. Jassir Arafat. Der Oklahoma-Bomber Timothy McVeigh. Michael J. Fox. Der ehemalige Wohnungsbauminister Henry Cisneros. Allein die Vorstellung einer Direktübertragung aus den Privatgemächern von TV-Ikone Martha („Schöner wohnen“) Steward – Martha Steward, hingehockt zum Schiss zwischen Seifchen, Badesalz und farblich abgestimmten Heimtextilien – war derart überwältigend, dass Corliss sie sich nur selten gestattete. Kurz und gut, es war nicht nur ein schlafförderndes Konzept, sondern – verständlicherweise – auch ein höchstes privates. Tom Clancy. Margaret Atwood. Die Feministin Bell Hooks muss ebenso ran wie Dr. James Dobson von der konservativen Gegenseite. Dann George Ryan, der Todesstrafengegner und korrupte Gouverneur von Illinois, Nachrichtensprecher Peter Jennings. Talktante Oprah Winfrey. Er erzählte niemandem von diesem Traum. Und auch nicht von der begleitenden Vision, diese Museums der menschlichen Darmentleerung (digital aufbereitet) ins All zu senden, damit sich fremde Intelligenzen ein umfassendes Bild davon machen konnten, was auf dem Planeten Erde um das Jahr 2001 herum alles wichtig gewesen war.
Natürlich war er nicht verrückt; ein solches Projekt würde nie funktionieren. Aber was hieß das schon? Reality-TV gab es ja auch. Corliss selbst hatte den Grundstein dazu gelegt. Der Trend: Nicht nur Normalbürger, sondern auch Promis in die Matrix aus verletzter Privatsphäre und Enthüllung zu verstricken, aus der „Reality“ nun einmal bestand. Deswegen gab es diese Promi-Pannenshows, ließen sie ganze Kamerateams ins Haus, damit die Leute ihren begehbaren Wandschrank sehen konnten. Deswegen gab es Promi-Boxen, Promi-Polit-Gequassel, durfte die Öffentlichkeit sie zu Blind Dates oder zur Eheberatung begleiten. Schon in seiner Zeit bei Leach und TPE hatte Corliss erkannt: Die Philosophie dieser Sendungen war eine bombensichere Sache und führte unweigerlich zur ultimativen Bloßstellung. Promis unterm Messer, Promis in ihrem Promi-Sterbezimmer, am Ende die große Promi-Leichenschau. Alles nicht undenkbar, absurd schien ein solches Konzept nur außerhalb der Matrix. Und wo auf der Skala war eigentlich die Slo-Mo-High-Definition-Full-Sound-Celebrity-Defäkation? Und wie nahe war er an dem Punkt, an dem eine hirnverbrannte Idee wie diese in der Entwicklungs- und Rechtsabteilung nicht nur schallendes Gelächter auslöste? Nicht nah genug, das stand fest, aber auch nicht mehr endlos weit entfernt. Corliss wusste: Auch über Rupert Murdoch hatten sie alle mal gelacht.

David Foster Wallace, Auszug aus The Suffering Channel
Foto: Toulouse Lautrec

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