Freitag, 29. Oktober 2010

Die Liebe macht gleich

532.
"Die Liebe macht gleich". — Die Liebe will dem Andern, dem sie sich weiht, jedes Gefühl von Fremdsein ersparen, sie ist folglich voller Verstellung und Anähnlichung, sie betrügt fortwährend und schauspielert eine Gleichheit, die es in Wahrheit nicht gibt. Und dies geschieht so instinktiv, dass liebende Frauen diese Verstellung und beständige zarteste Betrügerei ableugnen und kühn behaupten, die Liebe mache gleich (das heißt sie tue ein Wunder!). — Dieser Vorgang ist einfach, wenn die eine Person sich lieben lässt und es nicht nötig findet, sich zu verstellen, vielmehr dies der anderen, liebenden überlässt: aber nichts Verwickelteres und Undurchdringbareres von Schauspielerei gibt es, als wenn beide in der vollen Leidenschaft für einander sind und folglich Jeder sich aufgibt und sich dem Anderen gleichstellen und ihm allein gleichmachen will: und keiner zuletzt mehr weiß, was er nachahmen, wozu er sich verstellen, als was er sich geben soll. Die schöne Tollheit dieses Schauspiels ist zu gut für diese Welt und zu fein für menschliche Augen.

Nietzsche

Samstag, 23. Oktober 2010

Flamme bin ich sicherlich

Ja, ich weiß, woher ich stamme,
Ungesättigt gleich der Flamme
Glühe und verzehr’ ich mich.
Licht wird alles was ich fasse,
Kohle alles, was ich lasse,
Flamme bin ich sicherlich.

Nietzsche

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Das Leben bildet eine Oberfläche, die so tut, als ob sie so sein müßte, wie sie ist, aber unter ihrer Haut treiben und drängen die Dinge.

Robert Musil
Darum ist es das Lebenserhaltende schlechthin, daß es der Menschheit gelungen ist, anstatt dessen, «wofür es sich wirklich zu leben lohnt», das «dafür»leben zu erfinden, oder, mit anderen Worten, an die Stelle ihres Idealzustandes den ihres Idealismus zu setzen.

Robert Musil
Auch Glaube und Liebe sind bloß Gemütszustände, aber die Kontemplation schafft für sie das Bild einer ganzen Welt!

Robert Musil
… denn wenngleich sie sich in einer Hälfte ihres Lebens (die beendet war, was Swann betraf) von dem einzigen Grundsatz hatte leiten lassen, der ihr einleuchtete, und der lautete, dass man mit Männern, die einen lieben, anstellen könne, was einem beliebt, da sie „solche Dummbärte“ seien (ein Grundsatz, der sich in ihren Zügen durch ein boshaftes Zwinkern verriet, das zu sagen schien: „Seien Sie unbesorgt, er wird nichts zerschlagen“), hatte ihr eine Bildhauerin, die sie vor einigen Jahren kennengelernt hatte und der sie grosse Bewunderung entgegenbrachte, einen anderen Grundsatz erläutert, der Odette inzwischen oft in den Sinn kam, wenn von Swann die Rede war, worauf sie gelangweilt die Brauen verzog und die Schultern zuckte, als wolle sie sagen: „Nun ja, unmöglich ist nichts. Wundern würde es mich nicht!“, denn dieser zweite Grundsatz besagte, dass man bei Männern auf alles gefasst sein müsse, wenn sie nicht mehr verliebt sind, da sie solche Trottel seien.

Marcel Proust
Geliebt wirst du einzig wo du schwach dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren.

Adorno, Minima Moralia

Dienstag, 19. Oktober 2010

Golden Gate.

– Dem Gekränkten, Zurückgesetzten geht etwas auf, so grell wie heftige Schmerzen den eigenen Leib beleuchten. Er erkennt, daß im Innersten der verblendeten Liebe, die nichts davon weiß und nichts wissen darf, die Forderung des Unverblendeten lebt. Ihm geschah unrecht; daraus leitet er den Anspruch des Rechts ab und muß ihn zugleich verwerfen, denn was er wünscht, kann nur aus Freiheit kommen. In solcher Not wird der Verstoßene zum Menschen. Wie Liebe unabdingbar das Allgemeine ans Besondere verrät, in dem allein jenem Ehre widerfährt, so wendet tödlich nun das Allgemeine als Autonomie des Nächsten sich gegen sie. Gerade die Versagung, in der das Allgemeine sich durchsetzte, erscheint dem Individuum als Ausgeschlossensein vom Allgemeinen; der Liebe verlor, weiß von allen sich verlassen, darum verschmäht er den Trost. In der Sinnlosigkeit des Entzuges bekommt er das Unwahre aller bloß individuellen Erfüllung zu spüren. Damit aber erwacht er zum paradoxen Bewußtsein des Allgemeinen: des unveräußerlichen und unklagbaren Menschenrechtes, von der Geliebten geliebt zu werden. Mit seiner auf keinen Titel und Anspruch gegründeten Bitte um Gewährung appelliert er an eine unbekannte Instanz, die aus Gnade ihm zuspricht, was ihm gehört und doch nicht gehört. Das Geheimnis der Gerechtigkeit in der Liebe ist die Aufhebung des Rechts, auf die Liebe mit sprachloser Gebärde deutet. "So muß übervorteilt / Albern doch überall sein die Liebe."

Adorno, Minima Moralia, 104

Sonntag, 17. Oktober 2010

ewig 'sinnlos' sinnlich sein